Der Bundesrat hat am Mittwoch einen Bericht publiziert, der zum Schluss kommt, dass China «mit grosser Wahrscheinlichkeit» Druck auf die in der Schweiz lebenden Exil-Tibeter und Exil-Uiguren ausübe. Die Rede ist von Überwachung, Infiltration der Gemeinschaften und Einschüchterung. Eine in der Schweiz lebende Uigurin erzählt, wie sich ein Leben unter chinesischer Beobachtung anfühlt.
SRF News: Frau Ilham, wie fällt Ihre Reaktion auf den Bericht des Bundesrates aus?
Rizwana Ilham: Zunächst einmal bin ich sehr dankbar, dass der Bundesrat diesen Bericht überhaupt in Auftrag gegeben hat und dass er die Problematik ernst nimmt. Nun sollten auf die Worte aber dringend Taten folgen, es ist höchste Zeit.
Was meinen Sie damit, wie könnten solche «Taten» aussehen?
Es braucht eine bessere Unterstützung der Betroffenen. Viele Uigurinnen und Uiguren fühlen sich bislang völlig alleine gelassen. Es braucht Melde- und Schutzstellen. Ebenso müssen die Schweizer Behörden die chinesischen Repressionen konsequenter verfolgen. Und letztlich erwarten wir auch, dass sich die Schweiz politisch klar positioniert und eine unmissverständliche Haltung einnimmt gegenüber der Diskriminierung von Uigurinnen und Tibetern durch die chinesische Regierung. Dazu gehören auch Sanktionen.
Wie spüren Sie im Alltag den chinesischen Staat?
Auf vielfältige Weise. Die chinesische Regierung führt eine systematische Einschüchterungskampagne gegen Exil-Uiguren durch. Wir werden ständig überwacht und drangsaliert. An Veranstaltungen, die wir organisieren, tauchen Menschen auf, die Fotos von uns machen. Es gibt immer wieder Cyber-Angriffe, von mir persönlich existieren in den sozialen Medien diverse Fake-Profile. Und auch über unsere in Ostturkestan lebenden Familien wird Druck ausgeübt.
Sie drohen uns: Wenn wir nicht schweigen, dann könnte das Nachteile haben – für uns oder für unsere Familien.
Können Sie ein Beispiel machen?
Man erhält beispielsweise plötzlich einen Video-Call von einem Familienmitglied, und daneben steht ein Polizist in Uniform. Das Ziel von solchen Aktionen ist klar: Die chinesische Regierung will uns einschüchtern, damit wir nichts mehr zu den Vorgängen in China sagen. Und sie drohen uns: Wenn wir nicht schweigen, dann könnte das Nachteile haben – für uns oder für unsere Familien.
Verändert man dadurch sein Verhalten im Alltag?
Ja, leider. Ich zum Beispiel benutze keine chinesischen Apps und Kommunikationskanäle. Und es gibt Familienmitglieder, mit denen ich nicht mehr kommuniziere, um sie nicht in Gefahr zu bringen.
Das tönt kompliziert.
Es ist vor allem psychisch belastend. Andere Menschen gehen in den Sommerferien ihre Verwandten in der Heimat besuchen, wir können das nicht. Es gibt Uigurinnen und Uiguren, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben, die hierher geflohen sind, um ein freies Leben führen zu können. Und trotzdem sind sie den chinesischen Staat auch in der Schweiz nie losgeworden, sie müssen auch hier bei jedem Schritt und jeder Äusserung aufpassen. Diese ständige Bedrohung führt dazu, dass viele Exil-Uiguren unter Angst und psychischem Stress leben. Das bedeutet einen permanenten Ausnahmezustand, der langfristig traumatische Folgen hat.
Das Gespräch führte Philipp Schrämmli.