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Flug kompensieren? – Bauern kritisieren Schweizer Umweltprojekt
Aus Impact Investigativ vom 23.08.2023.
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CO₂-Kompensation – im Ausland Zu wenig Geld: Bauern kritisieren Schweizer Klimaprojekt

Nicaragua verweigerte Journalisten von SRF Investigativ die Einreise. Die Reporter wollten ein Aufforstungsprojekt der Schweizer Stiftung Myclimate besuchen. Bauern vor Ort kritisieren, es fehle ihnen an Geld und Werkzeug.

Zehntausende Kundinnen und Kunden haben in den letzten Jahren mit diesem Projekt in Nicaragua ihre Emissionen kompensiert. Darunter grosse Firmen wie Swiss, Migros oder Coop Mineralöl AG. Gesamtwert der verkauften CO₂-Zertifikate: mehr als 5 Millionen Schweizer Franken. 

Das Versprechen der Stiftung Myclimate ist attraktiv: Die Aufforstung soll dem Klimaschutz dienen und den lokalen Bauern. Mehr als 3000 Bauern pflanzten auf ihren Feldern bisher insgesamt 19 Millionen Bäume. Ein grosser Teil von dem Geld, das Kundinnen und Kunden für die Kompensationen bezahlen, soll den Bauern zugutekommen.  

Unklare Verantwortung 

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Die Schweizer Stiftung Myclimate bezeichnet das Projekt auf ihrer Webseite als ihr eigenes. Tatsächlich kauft sie aber die Zertifikate bei einem Unternehmen aus Kanada, welches das Projekt gemeinsam mit einer Organisation vor Ort umsetzt. Das Unternehmen verkauft die Zertifikate weltweit. Gegen den Eindruck, Myclimate sei lediglich Wiederverkäuferin von Klimazertifikaten, wehrt sich die Stiftung. Man habe seit 2011 eine enge Partnerschaft mit dem kanadischen Unternehmen und somit massgebend zum Erfolg des Projektes beigetragen. 

Gegenüber SRF Investigativ erheben mehrere Bauern scharfe Vorwürfe gegen die Verantwortlichen. Sie sagen, das Geld komme nicht bei ihnen an oder es reiche nicht für den Unterhalt der Flächen. Zudem kritisieren die Bauern die Projektleitung vor Ort. Diese mache leere Versprechen und lasse sie im Stich. 

Wir haben weniger Geld erhalten, als uns zugestanden wäre.
Autor: Osman Hernandez Bauer

Bauer Osman Hernandez hat auf seinem Land Hunderte von Bäumen gepflanzt. «Viele Male haben wir nicht so viel Geld erhalten, wie uns zugestanden wäre. Es war oft zu wenig oder kam zu spät. Ich war gezwungen, eigenes Geld in die Hand zu nehmen.»

Die Bauern verpflichten sich mit komplexen Verträgen, die Bäume während insgesamt 50 Jahren zu pflegen – während 10 Jahren erhalten sie Geld vom Projekt. Insgesamt neun Bäuerinnen und Bauern kritisieren das Projekt gegenüber SRF. Wie Dokumente zeigen, haben allein 2022 knapp 200 Bauern das Projekt verlassen.

Das Projekt ist «gescheitert»

Auch Mayra Soriano hatte auf ihrem Land für das Projekt Bäume gepflanzt. Sie sagt, ihr seien Werkzeuge versprochen worden, die sie nie erhalten habe. Die Verantwortlichen hätten sie mit der Arbeit allein gelassen. Für sie ist das Projekt «gescheitert».

Ein Foto von oben, zeigt den Regenwald von Nicaragua.
Legende: Nicaragua beherbergt den grössten Regenwald nördlich des Amazonas mit 10 Prozent der weltweiten Biodiversität. IMAGO/ Nature Picture Library

Weitere Bauern kritisieren gegenüber SRF Investigativ fehlende finanzielle Unterstützung und ausbleibende Hilfe. Die Verantwortlichen würden sich nicht ausreichend um die Bauern kümmern. Zwei Bauern haben sich gegenüber SRF positiv über das Projekt geäussert. Sie sagen, das Geld sei ausreichend und das Projekt unterstütze sie gut. 

Die Ethnologin Birgit Müller stützt die Schilderungen der Bauern. Sie forscht seit vielen Jahren zu Landwirtschaft in Nicaragua. «Das Geld, das die Bauern erhalten, scheint mir für die zu leistende Arbeit sehr gering.» 

«Das Risiko ist Hunger»

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Birgit Müller ist Professorin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales.

Sie sagt, die Bauern in der betroffenen Region in Nicaragua leben in der Regel von dem, was auf ihren Feldern wächst. Wenn sie auf diesen Flächen Bäume anpflanzen, fehle ihnen das Land möglicherweise später zum Anbau von Getreide oder Bohnen. «Das Risiko ist Hunger.» Bauern solche Verträge vorzuschlagen, bezeichnet sie als «unverantwortlich».

Zwei Journalisten von SRF Investigativ wollten die Situation vor Ort überprüfen, die Behörden in Nicaragua verweigerten ihnen auf dem Flugfeld von Managua jedoch die Einreise. Das Land geht seit mehreren Jahren rigoros gegen Oppositionelle vor und begeht gemäss einem UN-Bericht Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Verhinderte Einreise in Nicaragua

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Zum Vorfall schreibt Reporter ohne Grenzen Schweiz:

Reporter ohne Grenzen (RSF) Schweiz ist empört über die Behandlung der beiden SRF-Journalisten in Nicaragua. «Da alle anderen Passagiere des Flugzeugs einreisen durften, muss angenommen werden, dass die beiden nicht ins Land gelassen wurden, weil sie Journalisten sind. Ein solches Einreiseverbot ist inakzeptabel und kommt einem Verstoss gegen die Informationsfreiheit gleich. Die beiden Journalisten wurden, indem man sie nicht aussteigen liess, zum Weiterflug gezwungen. Stossend ist zudem, dass sie keine klare Begründung für das Einreiseverbot erhalten haben.» Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von RSF belegt Nicaragua Rang 158 von 180 Ländern.

Die ETH Zürich hat für SRF Investigativ die Aufforstungsflächen anhand von Satellitendaten analysiert. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten, wie sich die Waldflächen entwickeln. Die Analyse zeigt: Insgesamt hat die Vegetation auf den untersuchten Flächen zugenommen.

Auf rund einem Drittel der Flächen zeigen die Satellitendaten bisher allerdings kein oder nur sehr langsames Wachstum. Laut ETH ist bei diesen Flächen unklar, ob innerhalb der Projektlaufzeit ein dichter Wald entstehen kann. Ein insgesamt starker Vegetationszuwachs ist für den Erfolg des Projektes jedoch zentral.

Berechnungsmethode

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Für die Analyse haben die Forschenden über 1000 Parzellen des Projektes untersucht. Dafür wurde der Vegetationsindex NDVI verwendet. Dieser gibt Aufschluss über die Dichte und das Wachstum von Vegetation. Die Parzellen wurden mit ihrem direkten Umland verglichen. So lässt sich feststellen, ob sich die Aufforstungsflächen seit Projekteintritt im Vergleich zum Umland besser entwickelt haben. 

Die statistische Analyse wurde von Petra Sieber und Jonas Schwaab von der ETH Zürich (Institut für Atmosphäre und Klimawissenschaften) durchgeführt, in Zusammenarbeit mit dem NPOC für Satellitendaten der Universität Zürich. Der NPOC war zudem für die Aufbereitung der Rohdaten verantwortlich, die von Nasa und ESA stammen.

Forscherin Petra Sieber vom Institut für Atmosphäre und Klimawissenschaften an der ETH Zürich ordnet ein: «Die Daten weisen darauf hin, dass sich die Flächen grossteils positiv, aber auch sehr unterschiedlich entwickelt haben.» Das Analysesystem hat aber seine Grenzen. «Eine unabhängige Überprüfung des Projekts ist aufwendig und allein anhand von Satellitendaten sehr schwierig.»

Audio
Aus dem Archiv: Myclimate: Neues Wording für Klimakompensation
aus SRF 4 News vom 30.03.2023. Bild: Keystone SDA
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Ohne Messungen vor Ort kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die verkauften Mengen CO₂ tatsächlich gebunden werden. Zudem müsse der Wald im Prinzip für immer stehen bleiben, damit das CO₂ nicht wieder in die Atmosphäre entweicht. «Somit ist Kompensation durch Aufforstung eigentlich eine Spekulation auf die Zukunft», sagt Petra Sieber.

Klarer Beleg für die Zufriedenheit der Landwirte

Myclimate weist sämtliche Vorwürfe zurück. Sie hätten keine Hinweise, dass Versprechen gegenüber Bauern nicht eingehalten würden, sagt Geschäftsleiterin Kathrin Dellantonio: «Das anhaltende Wachstum des Programms in den letzten 15 Jahren ist ein klarer Beleg für die Zufriedenheit der Landwirte.» Die von der ETH durchgeführte Analyse bezeichnet sie als «unzulässig». Die gewählte Satellitenanalyse lasse keine Aussage zum Wachstum der Biomasse und somit zum kompensierten CO₂ zu.

Stellungnahme Myclimate

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Myclimate schreibt in einer Stellungnahme weiter: «Das Projekt beinhaltet jede Zusammenarbeit von über 3000 Bauern. Dass sich darunter auch eine Handvoll findet, die nicht zufrieden ist, kann man nachvollziehen.» Es würden keine leeren Versprechen gemacht. Die Bauern würden zudem davon profitieren, dass sie einen Teil des Holzes aus ihren Wäldern verkaufen können. Wenn dennoch Flächen verloren gehen, würden diese 1:1 ersetzt. Myclimate schreibt zur Datenanalyse: «Die Aussage, dass der Zuwachs an Bäumen in den meisten Parzellen nur schwach ist, lässt sich durch die Analyse von Satellitendaten im Projektgebiet absolut nicht belegen.» Die Analyse zeige lediglich, dass es durch das Projekt in den meisten Parzellen eine positive Entwicklung gebe. «Wie stark und wie belastbar diese Entwicklung ist, lässt sich aufgrund der Ihnen vorliegenden Daten nicht ableiten», so Myclimate in ihrer Stellungnahme.

Myclimate weist zudem darauf hin, dass Aufforstungsmassnahmen äusserst sinnvolle Klimaschutzaktivitäten sind. Dies bestätige auch der aktuelle Bericht des Weltklimarat IPCC.

Die Aufforstung in Nicaragua ist eines der grössten Projekte von Myclimate. Zwischen 2011 und 2023 haben es Mitarbeitende jedoch nur einmal besucht. Man verlasse sich auf die regelmässigen Überprüfungen einer unabhängigen Kontrollstelle, sagt Geschäftsleiterin Kathrin Dellantonio. Ein aktueller Prüfbericht sei in Arbeit. Der letzte liegt sechs Jahre zurück.

Boom und Kritik

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Die Nachfrage nach CO₂-Kompensationen ist in den letzten Jahren weltweit stark gestiegen. Immer mehr Firmen und Einzelpersonen wollen ihre Emissionen kompensieren. Viele setzen dabei auf Waldschutzprojekte. Alleine im letzten Jahr wurden auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt Zertifikate im Wert von mehr als zwei Milliarden US-Dollar verkauft. Mit der Nachfrage wächst auch die Kritik: Recherchen zeigen, dass viele Kompensationsprojekte ihre Versprechen nur bedingt halten. Zuletzt stand auch das Schweizer Unternehmen Southpole mit einem Aufforstungsprojekt in der Kritik, das ebenfalls mit CO₂-Zertifikaten handelt. Forscher der ETH kamen in einer kürzlich publizierten Studie zum Schluss, dass nur zwölf Prozent aller weltweit verkauften CO₂-Zertifikate tatsächlich funktionieren.  

SRF 4 News, 23.08.2023, 16:00 Uhr

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