Nach dem Angriff der Hamas in Israel und dem aufflammenden Konflikt sind die Gräben tief – auch zwischen der palästinensischen und der jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz. Dabei hat es auch hierzulande immer wieder Bestrebungen für einen Dialog gegeben.
Einen ersten Ansatz gab es auch zuletzt. Wenige Tage nach dem Grossangriff gaben sich im Haus der Religionen in Bern ein Rabbiner und ein Imam an einem Traueranlass die Hand. Das sei positiv zu werten, sagt der Präsident des Hauses der Religionen, Johannes Matyassy: «Es sind kleine, versöhnliche Anzeichen. Die Situation ist aber schwierig und sehr komplex, es geht nur millimeterweise vorwärts.»
Der Anlass habe auch die Grenzen aufgezeigt: Ein Händedruck – ja. Aber dass Angehörige der jüdischen und der palästinensischen Gemeinschaften in der Schweiz zusammensitzen, erachtet Matyassy derzeit als sehr schwierig.
Die Gräben seien auch schon vor dem Hamas-Angriff tief gewesen, sagt Ilan Lew. Er ist Präsident des Cercle Martin Buber, einer jüdischen Organisation mit Sitz in Genf, die Dialogprojekte organisiert. Palästinenser und Israelis, die zusammenleben wollen, finde man. Aber: «In der Schweizer Zivilgesellschaft ist es offenbar schwieriger, die jüdische Gemeinschaft und Leute, die sich sehr für palästinensische Anliegen engagieren, zusammenzubringen.»
Die Narrative der beiden Seiten würden sich extrem unterscheiden, sagt Lew. Die Organisation werde jetzt keine neuen Dialogprojekte anstossen. Vielleicht in ein paar Monaten, vielleicht in ein, zwei Jahren.
Einstiges Erfolgsmodell Basel
Der direkte Austausch zwischen der jüdischen und der palästinensischen Gemeinschaft in der Schweiz war früher über mehrere Jahre gelungen. Das Projekt endete jedoch in den 90er-Jahren. Die Jüdisch-Palästinensische Gesprächsgruppe im Raum Basel organisierte Treffen zwischen jüdischen und palästinensischen Familien – sie sassen an einen Tisch, diskutierten und assen dann gemeinsam.
Initiator war der ehemalige jüdische Rechtsanwalt Peter Liatowitsch. «Mir wurde bewusst, dass ich eine Meinung über einen Konflikt hatte, ohne je mit einem Vertreter der anderen Seite gesprochen zu haben», erinnert er sich. Ein Freund hatte ihn mit einem Palästinenser zusammengebracht, mit dem er die Gespräche organisierte. «Rückblickend gab es für jeden in unserer Gruppe einen Gewinn: nämlich das, was sich in uns selbst veränderte.»
In der Gesprächsgruppe habe man sich gegenseitig zugehört und die Geschichten, die Narrative der anderen Seite erfahren. «Und auch sie hatten die Geduld uns zuzuhören, ohne uns zu unterbrechen. Das war eine sehr wesentliche Erfahrung», sagt Liatowitsch.
Ich sehe eine Radikalisierung der Pläne, der Sprache und Handlungen, die mich fürchterlich erschreckt.
Schon damals wurde der Austausch sowohl in der palästinensischen als auch in der jüdischen Gemeinschaft nicht von allen gerne gesehen. Die Gespräche endeten, weil eine Lösung des Konflikts immer unrealistischer geworden und die Frustration auf palästinensischer Seite gestiegen sei. Lange hatte Liatowitsch Hoffnung. Inzwischen klingt er anders: «Ich sehe eine Radikalisierung der Pläne, der Sprache und Handlungen, die mich fürchterlich erschreckt. Sie bringt unglaubliches Leid über Familien auf beiden Seiten.»
In Zeiten der Polarisierung wäre es sehr wichtig, dass es gemeinsame Stimmen gibt von Juden und Palästinensern, so Liatowitsch – diese hätten sich aber in den letzten 20 Jahren, in weniger aggressiven Zeiten, entwickeln müssen.