Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Zahl der Kundgebungen von Massnahmen-Gegnern gestiegen. Zuletzt ist eine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei Impfskeptikern und anderen Protestierenden erkennbar. Dirk Baier, Experte für Kriminalprävention, ordnet die Bewegung ein.
SRF News: Die Vorfälle mit Massnahmen-Gegnern häufen sich – überrascht Sie das?
Dirk Baier: Jede neue, verbindliche Massnahme ist aus Sicht der Impfskeptiker eine Zumutung, die zu Ärger und Wut führt. Für die Wut wird dann ein Ventil gesucht, von vielen Skeptikern in Form von Demonstrationen. Je länger die Pandemie dauert und damit verbunden immer wieder neue Massnahmen eingeführt werden, umso eher gibt es Personen, die ihre Wut in inadäquater Weise verarbeiten. Grundsätzlich überrascht mich die Zunahme an Aggression und Gewalt daher nicht.
Wie ist die Bewegung einzuordnen?
Es ist keine einheitliche Bewegung, sondern ein Sammelbecken von Personen mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielen. Das einigende Moment ist, dass man in unzumutbarer Weise die eigenen Freiheiten eingeschränkt sieht. Ein klares Feindbild gibt es nicht, weshalb unterschiedliche Ziele angegriffen werden, wie Politiker, Journalisten oder Wirte. Es handelt sich aus meiner Sicht noch nicht um eine radikale oder extremistische Bewegung.
Das Vorgehen wird zusehends aggressiver. Wird die Skeptiker-Szene gewaltbereiter und lässt sie sich einem bestimmten Spektrum zuordnen?
In der Schweiz ist die Bewegung noch nicht eindeutig zuzuordnen – eher konservativ, rechtsorientiert denkende Personen dominieren aber wahrscheinlich. Für die Gewaltbereitschaft ist die politische Verortung aber nicht zentral. Zentral ist, ob die Bewegung Personen anzieht, die in ihrem Leben eine gewisse Bedeutungslosigkeit verspüren und die über die Bewegung eine Art neue Identität finden. Diese Personen identifizieren sich dann zu stark, wollen sie unbedingt zum Erfolg führen und sind dann auch eher bereit, Gewalt anzuwenden.
Steigt denn die Gewaltbereitschaft bei den Massnahmen-Gegnern insgesamt – oder ist das eine Minderheit?
Gewalt ist die Sprache einer Minderheit bei den Skeptikern, wie auch die Skeptiker eine Minderheit sind. Die deutliche Mehrheit der Schweizer Bevölkerung hat kein Verständnis für die Bewegung, sonst hätten wir viel höhere Demonstrationszahlen. Wir dürfen die Bewegung nicht grösser reden als sie ist. Die Gewaltbereitschaft der Bewegung steigt in dem Masse, in dem aus ihrer Sicht unzumutbare Massnahmen beschlossen werden. Die Zertifikatspflicht gehört dazu, weshalb wir jetzt wieder einen Gewaltanstieg sehen.
Ich rechne aber eher damit, dass die gewalttätigen Reaktionen auf die neuerliche Massnahme der Zertifikatspflicht bald schon wieder abklingen.
Grundsätzlich schliessen sich gewaltbereite Personen jetzt der Bewegung an, um ihre Gewaltneigung auszuleben. Ich rechne aber eher damit, dass die gewalttätigen Reaktionen auf die neuerliche Massnahme der Zertifikatspflicht bald schon wieder abklingen.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien in der Radikalisierung?
Soziale Medien sind Treiber der Radikalisierung. Man findet in abgeschlossenen Gruppen schnell Gleichgesinnte. In diesen Gruppen schaukeln sich dann Meinungen auf, extremere Positionen werden vertreten und können dann auch das Handeln einzelner Personen beeinflussen.
Trotzdem gehe ich nicht davon aus, dass sich die Bewegung zu einer extremistischen Gruppe weiterentwickelt und auch häufiger und schwerer Gewalt ausübt. Wenn die Pandemiezeit dem Ende zugeht, verliert die Bewegung komplett ihre Legitimation.
Das Gespräch führte Saya Bausch.