Es ist eine Virusmutation, die der Wissenschaft Sorgen macht: Die erstmals in Brasilien festgestellte Variante P1 soll gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht nur ansteckender als bisherige Varianten sein, sondern auch immun-invasiv – sie soll also das menschliche Immunsystem umgehen können.
«Wahrscheinlich ist die Variante auch resistent gegenüber den bisher entwickelten Impfstoffen», sagt Volker Thiel, Virologe an der Universität Bern.
Klar ist: Die Corona-Infektionen und Todesfälle in Brasilien selber sind so hoch wie noch nie. Allein am Dienstag starben 3780 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung. Die Neuinfektionen pro Tag haben die 100’000er-Marke geknackt.
Das brasilianische Gesundheitssystem steht kurz vor dem Kollaps und läuft gemäss dem Nachrichtensender CNN akut Gefahr, bald nicht mehr ausreichend Medikamente für Corona-Patienten zu haben. Die Gesundheitsbehörde des Nachbarlands Peru meldete, dass bereits über 40 Prozent der Corona-Infektionen auf die mutierte Variante P1 zurückzuführen seien.
Der Bund muss die Flüge von und nach Brasilien so schnell wie möglich einstellen.
Und was tut die Schweiz?
Zwölf Infektionen mit der Variante P1 wurden gemäss BAG bisher in der Schweiz nachgewiesen. Trotzdem fliegt die Fluggesellschaft Swiss fünfmal pro Woche direkt nach São Paulo an die brasilianische Küste. Das müsse sofort gestoppt werden, fordert Ruth Humbel, CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Gesundheitskommission. «Der Bund muss die Flüge von und nach Brasilien so schnell wie möglich einstellen.»
Ganz so drastisch wollen Bund und BAG aber nicht vorgehen. Die Situation in Brasilien sei zwar schlecht und man beobachte sie sehr aufmerksam, sagt der Leiter Krisenbewältigung beim BAG, Patrick Mathys. Doch momentan erachte man die Hürde, von Brasilien in die Schweiz einzureisen, als genügend hoch. «Brasilien gilt schon länger als Risikoland. Wenn Sie von dort einreisen, müssen Sie schon heute einen negativen PCR-Test vorlegen und sich in Quarantäne begeben», betont Mathys.
Einen ersten alleinigen Schritt will der Bundesrat nicht machen.
Zudem sei ein Flugstopp allein für die Schweiz sinnlos, denn die meisten Brasilien-Reisenden kämen via Portugal in die Schweiz. Ähnlich klang es auch bei Gesundheitsminister Alain Berset an der heutigen Medienkonferenz des Bundesrates: «Wir streben eine gesamteuropäisch einheitliche Lösung an. Einen ersten alleinigen Schritt will der Bundesrat nicht machen.»
Genau denselben Fehler habe man schon mit der britischen Virusvariante gemacht, sagt allerdings Ruth Humbel. Schon damals forderte sie einen sofortigen Flugstopp. «Die Schweiz muss ja nicht immer warten und das letzte Land sein, das dann macht, was Europa gemacht hat. Wir könnten auch mal vorausgehen.»
Distanz als Hoffnungsschimmer
Auch der Virologe Volker Thiel hofft, dass sich das Szenario mit dem Einschleppen der neuen Virusvariante nicht wiederholt. Doch er will die brasilianische Variante nicht mit der britischen gleichsetzen. Aus Brasilien würden grundsätzlich viel weniger Leute in die Schweiz einreisen als aus Grossbritannien.
«Diese räumliche Distanz könnte uns am Anfang helfen, dass die Fallzahlen nicht allzu schnell steigen», so Thiel. Nichtsdestotrotz gilt die Virusvariante P1 für die Wissenschaft als «Variant of Concern», also als besorgniserregend, weil sie die Immunität umgehen kann.