Die Schweiz steht bei der Pandemiebewältigung im internationalen Vergleich schlechter da, als man sich das in anderen Bereichen gewohnt ist. BAG-Chefin Anne Lévy nimmt Stellung.
SRF News: Viel Kritik gibt es seit Beginn der Pandemie. Welche ist gerechtfertigt und welche nicht?
Anne Lévy: Kritik ist immer gerechtfertigt. Man darf das kritisch anschauen. Es ist eine sehr schwierige Zeit für viele Menschen. Manchmal habe ich ein bisschen das Gefühl, man gibt uns die Schuld für die Pandemie. Wir bemühen uns von Anfang an, möglichst gut und mit möglichst wenig Einschränkungen durch die Pandemie zu kommen. Unsere Strategie, so finde ich, hat nicht so schlecht funktioniert.
Unsere Strategie, so finde ich, hat nicht so schlecht funktioniert.
Sie geben aber zu, dass nicht alles rund läuft?
Selbstverständlich. Fehler gibt es schon im normalen Leben. In einer Krise, wo man unter unglaublichem Druck und vor allem unter Unsicherheit und Unwissen entscheiden muss, können ganz bestimmt auch falsche Entscheide fallen.
Aktuell wird die Impfstrategie massiv kritisiert. Wie wollen Sie das Vertrauen der Schweiz zurückgewinnen?
Das Vertrauen in uns ist zum Glück gut. Das zeigen Umfragen immer wieder. Gerade beim Impfen stehen wir sehr gut da. Die Ungeduld kann ich gut verstehen, weil alle jetzt sofort geimpft werden wollen. Wenn eine Produktion neu anläuft, braucht es aber eine Weile, bis die weltweit enorme Nachfrage befriedigt werden kann. Wir sind gut aufgestellt und haben früh begonnen. Wir waren das erste Land in Kontinentaleuropa, das die Impfung zugelassen hat und wo mit der Verimpfung gestartet wurde.
Die Ungeduld kann ich gut verstehen, weil alle jetzt sofort geimpft werden wollen.
Die Schweiz hat bisher jede 25. Person geimpft, Israel jede dritte. Grossbritannien hat schon neun Millionen Impfdosen verabreicht, die Schweiz bis gestern 315'000. Was sagen Sie zu dem Vergleich?
Ein Vergleich mit anderen Ländern ist schwierig. Im Gegensatz zu den USA und Grossbritannien mit einer Notfallzulassung haben wir ein ordentliches Zulassungsverfahren durchgeführt. Israel ist ein ganz spezieller Fall. Im Vergleich mit unseren Nachbarländern sind wir aber bei den schnelleren.
Würde es die Pandemiebekämpfung nicht vereinfachen, wenn man schneller reagieren könnte?
Wir haben gezeigt, dass wir sehr schnell reagiert haben. Am eindrücklichsten bei der neuen Variante aus Grossbritannien, wo England sehr schnell informierte. Die Schweiz entschied innert Stunden, die Flüge zu stoppen und die Sequenzierung vorwärtszutreiben. Wir sind das Land, das am meisten sequenziert. Wir wissen am besten von allen Ländern, wie stark verbreitet die Virus-Variante bei uns ist. Für mich ein schönes Beispiel, wie schnell wir reagieren können.
Wir wissen am besten von allen Ländern, wie stark verbreitet die Virus-Variante bei uns ist.
Als es um härtere Massnahmen ging, dauerte es wegen der Vernehmlassung über eine Woche bis zu einem druckreifen Entscheid?
Es ist wichtig, dass wir abgestimmt vorgehen und die Bevölkerung mitnehmen können. Da lohnt sich eine Runde mehr. Das ist ein ganz anderes politisches System als in den Nachbarländern. Wir wissen dafür, dass es breit abgestützt ist und wir an viele Sachen gedacht haben. Ich finde, dass das eigentlich sehr gut läuft.
Sie haben im Oktober zu Beginn der zweiten Welle das Amt im BAG übernommen und bereits umstrukturiert. Was tun, damit die Schweiz in einer nächsten Pandemie besser aufgestellt ist?
Wir werden sicher ganz gut anschauen, was wir aus der jetzigen Pandemie lernen können. Wie kann man sich vorbereiten, wie läuft es während der Pandemie? Wie viel Vorratshaltung ist notwendig? Und selbstverständlich werden wir das nächste Mal auch digital besser aufgestellt sein.
Und selbstverständlich werden wir das nächste Mal auch digital besser aufgestellt sein.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.