Es gibt viele Diskussionen darüber, warum in der Schweiz – anders als in Österreich – Corona-Selbsttests noch keine Selbstverständlichkeit sind. Schweizer Wirtschaftsvertreter fordern, man müsse solche Tests endlich nutzen, um etwa grosse Veranstaltungen wieder möglich zu machen.
Das Bundesamt für Gesundheit agiere zu zurückhaltend, die Selbsttests seien ein schneller, sicherer Weg zu mehr Freiheit. Doch sind sie das wirklich?
Anbieter bringen sich in Stellung
Ideal wäre eine Zahnpasta, die morgens beim Zähneputzen per Farbumschlag anzeigt: Der oder die Putzende ist Corona-positiv oder eben nicht. Bleibt sie weiss, ist alles gut. Schön wäre das.
Und es gibt einige Firmen, die Coronatests für den Hausgebrauch auch in der Schweiz anbieten wollen. Spucktests oder auch solche, für die man sich ein Stäbchen in die Nase schieben muss. Allerdings nicht so unangenehm weit, wie beim amtlichen Test.
Falsch-negative Befunde
Der Testexperte Didier Trono von der ETH Lausanne und Mitglied in der Science Taskforce reagiert ausgesprochen skeptisch: «Die Aussagekraft solcher Tests ist nicht gut validiert.» Problematisch sei vor allem auch die Probennahme, fügt er hinzu. Das ist Konsens unter Wissenschaftlern.
Die Sensitivität, also wie sicher ein solcher Test eine vorhandene Infektion anzeigt, sei zu schlecht, um eine Infektion sicher auszuschliessen. Anders gesagt: Es gibt zu viele falsch-negative Befunde.
Dass die Sensitivität klar schlechter ist als bei den amtlich durchgeführten PCR-Tests, weiss man schon lange. Und das wäre unproblematisch, wenn alle weiter viel Abstand halten, Maske tragen, ohnehin vor allem zu Hause bleiben, und Züge, Parks und Läden also leer bleiben.
Aber wenn Selbsttests dazu dienen sollen, dass Menschen sich sozusagen freitesten, und danach sorgloser mehr Freiheiten geniessen, wird es heikel. Denn dann vermitteln sie in zu vielen Fällen eine falsche Sicherheit.
Nicht gut genug
Das gilt noch mehr, wenn jemand sich sozusagen freitesten will, der keine Symptome verspürt, und zum Beispiel tanzen gehen will. «Das ist keine gute Idee», sagt Trono. Weil die Virenlast bei Symptomlosen noch geringer sei und damit die Gefahr für Falsch-Negative noch höher.
Kurz: Die verfügbaren Schnelltests sind für die Anwendung, die zurzeit diskutiert wird, nicht gut genug. Auch das ist unter Wissenschaftlern weitgehend Konsens. Trono spricht für die Mehrheit.
Unentdeckte Fälle aufdecken
Sinnvoll sein können solche Selbsttests für zu Hause aber, wenn anders als jetzt, insgesamt im ganzen Land viel zu wenig getestet wird, und die Fallzahlen gleichzeitig hoch sind.
Dann können Selbsttests tatsächlich helfen Fälle aufzudecken, die sonst unentdeckt geblieben wären. In so einer Situation ähnlich der, die die Schweiz im Herbst durchlebt hat, können Selbsttests helfen die Dynamik der Ausbreitung zu bremsen.
Ein heikles Unterfangen
Jetzt aber testet die Schweiz recht breit und hat ein gutes Bild der Pandemie.
Das führt zum letzten Punkt, den Trono nennt: Jemand, der sich selbst zu Hause positiv teste, bei dem sei die Gefahr hoch, dass er sich nicht noch einmal amtlich testen lasse.
Also geht diese Infektion der amtlichen Statistik verloren. Und die wissenschaftliche Grundlage, auf der die politischen Entscheidungen zur Pandemie fussen, wird löchriger. In Zeiten, wo gerade auch das Bild, wo und wie schnell sich neue Varianten ausbreiten wichtig ist, ist das heikel.