Der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen war während der Coronapandemie der Impfberater der Nation. Nun tritt Christoph Berger aus der Kommission aus und sagt, was er mit heutiger Kenntnis anders machen würde.
SRF News: Rund ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie gab es bereits einen Impfstoff. Zuerst hatten Ältere und Risikopatienten Zugriff. Hatten Sie manchmal Zweifel, ob man genug darüber wusste?
Christoph Berger: Natürlich wussten wir am Anfang weniger als jetzt. Es war ein Abwägen. Die grossen Zulassungsstudien zeigten schon damals, dass es keine häufigen Nebenwirkungen gab. Auf der anderen Seite waren gefährdete Personen, die wegen Covid gestorben sind. Es gab also einen Handlungsdruck. Das Gute war, dass der neue Impfstoff Ältere und Risikopatienten besonders gut schützte.
Grosse Diskussionen gab es bei der Frage, ob Kinder und Jugendliche geimpft werden sollten. Sie empfahlen eine Impfung eher zurückhaltend. War das für Sie eine schwierige Phase?
Für mich war immer klar: Wir müssen die Risikopersonen schützen. Kinder und Jugendliche wurden zwar am häufigsten angesteckt, aber am seltensten schwer krank. Also waren sie nicht im primären Fokus der Impfstrategie.
Ich würde heute versuchen, expliziter bei den Diskussionen um die Massnahmenpakete, zu welchen auch die Impfung gehört, mitzureden.
Sie sagten kürzlich, dass es falsch war, dass sich Jugendliche impfen mussten, um in ein Schullager zu dürfen.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Impfung für Jugendliche und Kinder überhaupt nicht gefährlich ist. Aber die Infektion auch nicht. Kinder und Jugendliche haben weniger am Virus gelitten als an den Massnahmen zum Schutz der Gefährdeten. Die Impfkommission und ich als Präsident legten die Massnahmen nicht fest, sondern nur die Impfempfehlung. Wir entschieden dann, die Impfung für Kinder und Jugendliche zur Verfügung zu stellen, damit sie ins Lager können.
Hätten Sie sich aus heutiger Sicht gegen diese Massnahme wehren sollen?
Ich würde heute versuchen, expliziter bei den Diskussionen um die Massnahmenpakete, zu welchen auch die Impfung gehört, mitzureden. Dennoch: In der Schweiz haben wir erreicht, dass die Schulen bloss während sechs Wochen geschlossen waren und nicht 40 Wochen oder mehr wie in gewissen Nachbarländern.
Am Anfang hiess es: Wer sich impft, schützt andere vor einer Ansteckung. Ab wann war klar, dass diese Aussage nicht stimmt?
Bei den ersten Impfstoffen, die gegen die ursprüngliche Wuhan-Variante und Alphavariante entwickelt wurden, hatte diese Aussage eine Berechtigung. Bei den weiteren Varianten, schon bei Delta und nachher bei Omikron nicht mehr. Die Impfung schützte aber weiterhin vor einer schweren Erkrankung.
Aber ja, eigentlich hätte man mit den Massnahmen, die Ungeimpfte einschränkten, im zweiten Winter aufhören müssen.
Hätten Sie das früher kommunizieren und die Massnahmen anpassen müssen?
Es brauchte Zeit, bis man einen Impfstoff hatte, der auf die Omikron-Varianten angepasst war und man sah, wie er wirkt. Da vergingen ein paar Monate. Die Massnahmen mussten schnell beschlossen werden, weshalb die Anpassung immer etwas hinterherhinkte. Aber ja, eigentlich hätte man mit den Massnahmen, die Ungeimpfte einschränkten, im zweiten Winter aufhören müssen.
Muss der Umgang mit der Pandemie noch aufgearbeitet werden?
Ja, das wird auch getan. Schliesslich wissen wir nicht, ob so etwas wieder passiert. Es wäre wichtig, vorbereitet zu sein, wenn man in einen Krisenmodus schalten muss. Dass man die Fachleute früh einbezieht oder bereits bestehende Kommissionen, wie etwa die Impfkommission, personell aufstockt. Damit man die Erfahrungen der Verwaltung aus dem Normalbetrieb mit Expertenwissen kombiniert.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.