Die Ärzte im Südkanton sind immer stärker damit beschäftigt, die Corona-Fälle zu identifizieren und zu betreuen, wie der Virologe Andreas Cerny sagt. Er ist auch Belegarzt der Privatklinik Moncucco in Lugano ist. Tatsache ist: Das Tessin hat schweizweit mit Abstand am meisten Fälle von Ansteckungen mit dem Coronavirus.
Arzt fordert Grenz- und Schulschliessungen
Im ganzen Tessin wurden inzwischen die Vorsichtsmassnahmen in den Spitälern erhöht. So gibt es keine Besuchszeiten mehr und es werden vorsichtshalber Dienstpläne mit längeren Schichten fürs Personal erarbeitet. Auch suchen die Spitäler Übernachtungsmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Italien.
Man sei daran zu berechnen, wie viele Beatmungsplätze für schwere Coronafälle maximal eingerichtet werden könnten, sagt Cerny. «Wenn wir die Zahlen aus Norditalien aufs Tessin umrechnen, dann sieht das nicht gut aus.» Deshalb fordert der Virologe jetzt eine Schliessung der Grenze zu Italien und der Schulen im Tessin.
Im Tessin leben viele alte Menschen
Tatsächlich ist das Tessin besonders für viele schwere Krankheitsverläufe gefährdet – und zwar nicht nur wegen der Nähe zu Italien. Grund dafür ist, dass im Tessin so viele alte Menschen leben wie in sonst keinem Kanton ausser Basel-Stadt. Und anders als im Nordkanton fehle im Tessin die Struktur eines Universitätsspitals, beklagt Cerny.
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Eine dezidiert andere Meinung vertritt der Tessiner Krebsarzt und ehemalige SP-Nationalrat Franco Cavalli. Er sieht in der Tatsache, dass das Tessin kein Unispital, sondern fünf Kliniken in einem Spitalverbund hat, eher einen Vorteil: Im Ernstfall könne man so beispielsweise in drei Spitälern Corona-Patienten behandeln, in den zwei anderen die übrigen Patientinnen und Patienten.
Auch eine Grenzschliessung sieht Cavalli kritisch: «Das Virus ist schon bei uns – deshalb hat es keinen Sinn, die Grenze jetzt noch zu schliessen.» Ausserdem komme ein Grossteil der Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus den umliegenden italienischen Provinzen, die weniger Corona-Fälle aufwiesen als das Tessin, betont er.
Oberstufen-Schulen schliessen?
In einem Punkt sind sich die beiden Ärzte Cerny und Cavalli aber einig. Es braucht im Tessin Schulschliessungen. Im Gegensatz zum Virologen ist der Krebsarzt allerdings nicht für flächendeckende Schliessungen.
Für ihn wäre es angebracht, jetzt den Unterricht in den Oberstufen- und Mittelschulen ruhen zu lassen – vor allem, weil die Ansteckungsgefahr für die Schülerinnen und Schüler in den vollgestopften Bussen des ÖV sehr gross sei.
Die Unterstufenschülerinnen und -schüler benützen den ÖV in der Regel dagegen nicht. Sie gehen entweder zu Fuss oder werden von den Eltern im Auto zur Schule gefahren. Sie könnten laut Cavalli weiterhin die Schulbänke drücken.