Der frühere britische Premierminister Winston Churchill sagte einmal: «Never let a good crisis go to waste». Auf Deutsch: «Lass niemals eine Krise ungenutzt vorbeistreichen.» Das sagte sich am Mittwoch auch die SVP: Sie beantragte vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine in beiden Räten eine ausserordentliche Session zum Thema Versorgungssicherheit. Wer jetzt an die Stromversorgung denkt, liegt aber falsch. Vielmehr ging es der SVP nämlich um eine bessere Versorgung mit eigenen Lebensmitteln und darum, dass der Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge eingeschränkt wird.
Am Morgen war zunächst der Ständerat an der Reihe. «Die letzten Monate haben gezeigt, dass wir den Selbstversorgungsgrad erhöhen müssen», so der Berner SVP-Vertreter Werner Salzmann. Salzmann fordert vom Bundesrat ein Massnahmenpaket, damit die Schweizer Bauern mehr Lebensmittel für den hiesigen Markt produzieren.
Der Bundesrat erachtet das nicht als notwendig, worauf Salzmann nur den Kopf schütteln kann: «Bei der aktuellen Lage in der Ukraine – Präsident Putin hat am Morgen die Teil-Mobilmachung mit 300'000 Reservisten befohlen – ist das Vorgehen des Bundesrates unverständlich.» Tatsächlich unterstützte die Mehrheit des Ständerates die Forderung nach einem Massnahmenpaket.
Soll Schutzstatus S differenziert werden?
Das zweite Thema der SVP war der Schutzstatus S für die Flüchtlinge aus der Ukraine. «Weil dieser Krieg nun bereits seit einem halben Jahr dauert und noch länger dauern kann, sollte man eine Differenzierung prüfen», erklärte Ständerat Jakob Stark.
Die SVP will nicht mehr allen Flüchtlingen aus der Ukraine den Schutzstatus S gewähren, sondern nur noch den Menschen aus dem Osten und dem Süden der Ukraine. Genau hier knüpfte die SVP mit Andreas Glarner dann am Nachmittag im Nationalrat an: «Faktisch haben wir nun eine Personenfreizügigkeit mit der Ukraine, jeder darf kommen. Falls diese Grosszügigkeit aber missbraucht wird, ist dies ein unhaltbarer Zustand und ein erneuter Missbrauch unserer Gutmütigkeit.»
«Das ist grotesk»
Die andern Parteien konnten ab solchen Voten nur den Kopf schütteln; so sagte etwa Nationalrätin Corina Gredig von den Grünliberalen: «Am Tag, als Putin eine Teil-Mobilmachung angeordnet hat, über den Schutzstatus S unter dem Titel Versorgungssicherheit zu sprechen, ist gelinde gesagt grotesk.» Und auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte null Verständnis für die Forderung, nur noch gewissen Ukrainern den Schutzstatus zu gewähren: «Die Schweiz wäre der einzige westliche Staat, der zur Erkenntnis käme, dass es Gebiete in der Ukraine gibt, welche sicher sind. Dies wäre etwas eigenartig.»
Die Realität sei eine andere. Keller-Sutter erzählte von einem kürzlichen Gespräch mit einer Ukrainerin: «Sie sagte mir, dass die Kinder inzwischen Armbänder tragen, auf welchen ihre Namen, Blutgruppe, Herkunft und Adresse draufstehen. Falls es zu einem Angriff käme, damit sie identifiziert werden könnten.»
Es gebe keine Sicherheit in der Ukraine, nirgends. Schliesslich traktandierten die anderen Parteien im Nationalrat dann doch noch Vorstösse zur meistdiskutierten Versorgungsthematik; zur Energiefrage, aber die Abstimmungen dazu fanden noch nicht statt.