Die Strafprozessordnung regelt die Rechte aller Beteiligten im Laufe eines Verfahrens und ist seit 2011 in Kraft. Ein zentraler Punkt in der geplanten Revision ist, ob Anwälte von Beschuldigten bei Verhören anwesend sein dürfen. Niemand in der grossen Kammer nimmt diese Revision auf die leichte Schulter. So betont etwa Nationalrat Philipp Matthias Bregy (Mitte/VS): «Es geht um rechtsstaatliche Grundsätze und um die Frage: Was ist ein faires Verfahren?»
Konkret geht es um folgende Konstellation: Eine Staatsanwaltschaft befragt wegen Einbrüchen verschiedene Personen. Wenn die Staatsanwaltschaft Person A befragt, zum Beispiel einen ersten Beschuldigten, so darf heute nach der Erstbefragung Person B, vielleicht ein zweiter Beschuldigter, bei jeder weiteren Einvernahme dabei sein.
Das ist der Wahrheitsfindung nicht dienlich.
Dadurch aber erfahre B, was A gesagt habe, kritisiert Bundesrätin Karin Keller-Sutter: «Das ist dann problematisch, wenn die teilnehmende Person selbst zum fraglichen Sachverhalt noch nicht befragt wurde. So kann sie ihre spätere Aussage auf jene der bereits einvernommenen Person abstimmen. Das ist der Wahrheitsfindung nicht dienlich.»
Der Bundesrat und die Staatsanwälte wollen dieses Teilnahmerecht deshalb einschränken: Wenn sich eine Person B noch nicht geäussert hat, soll sie an den anderen Befragungen nicht mehr teilnehmen können. Unterstützt wird diese Forderung von der SVP.
So sagt Nationalrat Pirmin Schwander (SVP/SZ): «Wir möchten, dass die Strafverfolgungsbehörden Mittel haben, um Straftäter schnellstmöglich dingfest zu machen. Es darf nicht sein, dass Straftäter alles verzögern oder sich sogar absprechen können.» Diese Gefahr der Absprache bestehe und schütze am Schluss die Täter.
Anders sieht dies Mitte-Politiker Philipp Matthias Bregy: «Wenn wir hier von Täterschutz sprechen, dann verkennen wir, dass ein Gesetz Spielregeln definiert und nicht per se Täter schützt, sondern Leuten, die in ein Strafverfahren involviert sind, Rechte gibt.» Rechte von Beschuldigten, um ein faires Verfahren sicherzustellen.
Wenn der Bundesrat nun aber sage, nur wenn sich B bereits geäussert habe, dürfe er an der Einvernahme von A teilnehmen, verletze dies ein verfassungsmässiges Grundrecht von B, ergänzt Min Li Marti (SP/ZH). «Beschuldigte haben explizit das Recht, die Aussage zu verweigern. Es kann nicht sein, dass ihnen Nachteile erwachsen, wenn sie ein Recht ausüben, dass ihnen zusteht.»
Ein Gesetz schützt nicht per se Täter, sondern gibt Leuten Rechte, die in ein Strafverfahren involviert sind.
FDP-Nationalrätin Christa Markwalder bringt eine andere Perspektive ins Spiel, diejenige eines Opfers. Was ist, wenn A vielleicht ein Kind ist, das vom Vater – von B – missbraucht worden ist und er bei jeder Befragung des Kindes dabei sein darf? «Das Wissen um diese Details aus einer Opferbefragung mit Teilnahmerecht gibt dem Vater einen Wissensvorsprung, damit er seine eigenen Aussagen zu seinen Gunsten anpassen kann, wenn er an einer ergänzenden Befragung dabeisein kann.»
Es geht also um die Interessen der Staatsanwaltschaften, Involvierte separat befragen zu können, und es geht um die Rechte von Beschuldigten und um den Schutz von Opfern. Der Nationalrat hat heute Mittag entschieden, dass er das Teilnahmerecht nicht einschränken will. Gemäss dem Grundsatz: Nur wer umfassend an einem Verfahren teilnehmen kann, kann fair daran teilnehmen. Nun ist der Ständerat an der Reihe.