SVP-Altbundesrat Christoph Blocher will es mit 81 Jahren nochmals wissen und gleist eine neue Volksinitiative auf: «Unsere Initiative will die Schweizer Neutralität so in der Bundesverfassung festschreiben, wie sie uns seit 200 Jahren beschützt hat.»
Neutrale Vermittlerin
Mit der Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland habe die Schweiz ihren Platz als neutralen Verhandlungsort verloren, so Blocher. Mit einer Initiative soll sie diesen Status wieder zurückerlangen.
Die Schweiz darf keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen Staaten verhängen oder diplomatische Beziehungen abbrechen, sonst werden wir zur Kriegspartei und sind als Vermittlerin nicht mehr vertrauenswürdig.
Die Schweizer Neutralität sei einzigartig: Immerwährend, bewaffnet, umfassend. «Die Schweiz darf keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen Staaten verhängen oder diplomatische Beziehungen abbrechen, sonst werden wir zur Kriegspartei und sind als Vermittlerin nicht mehr vertrauenswürdig.»
Die «Neutralitätsinitiative» will, dass die Schweiz keinem militärischen Bündnis beitritt, sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt und keine Sanktionen gegen kriegführende Staaten verhängt. Sie soll ihre immerwährende Neutralität als Vermittlerin einsetzen, um Konflikte zu beseitigen.
Im aktuellen Kontext heisst das, die Schweiz stellt sich weder auf die Seite der Ukraine noch der Russen. Sie vermittelt zwischen den Konfliktparteien. Derzeit ist der Text der Initiative in Prüfung bei der Bundeskanzlei. Im Herbst soll es mit der Unterschriftensammlung losgehen.
Schweiz soll auch souveräner werden
Die Organisation Mass-Voll will ebenfalls im Herbst mit dem Sammeln beginnen: Ihre «Souveränitätsinitiative» will, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingeht, die in die Schweizer Grundrechte der Bürger eingreifen.
Mit dem Pandemiepakt, der 2024 kommen soll, könnte die WHO ihren Mitgliedstaaten in Zukunft Pandemie-Massnahmen anordnen. Dann entscheidet nicht mehr der Bundesrat, welche Politik in der Schweiz gilt, sondern die WHO. Das geht nicht.
Ausgangspunkt für die Initianten von Mass-Voll ist die Weltgesundheitsorganisation WHO. «Mit dem Pandemiepakt, der 2024 kommen soll, könnte die WHO ihren Mitgliedstaaten in Zukunft Pandemie-Massnahmen anordnen», sagt Nicolas Rimoldi, Präsident von Mass-Voll. «Dann entscheidet nicht mehr der Bundesrat, welche Politik in der Schweiz gilt, sondern die WHO. Das geht nicht.»
Die Initiative fordert die Behörden auf, ihre Staatsverträge und internationalen Abkommen zu überprüfen, ob sie mit den Grundrechten gemäss Bundesverfassung im Einklang sind.
Neutralität hat ihren Preis
Mit der Annahme der «Souveränitätsinitiative» müsste die Schweizer Regierung bei Verhandlungen zu multilateralen Verträgen jeweils einen Vorbehalt anbringen: Für den Fall, dass ein solcher internationaler Vertrag mit Schweizer Grundrechten kollidiert, nimmt sich die Schweiz das Recht, wieder aus dem Vertrag auszutreten, eine sogenannte Opting-Out-Klausel.
«Internationale Verhandlungen würden bei Annahme einer solchen Initiative erschwert», sagt Staatsrechtsprofessor Andreas Glaser von der Universität Zürich.
Allerdings glaube er nicht, dass die Schweiz bei Annahme dieser Initiative zur abgeschotteten Insel würde – denn die Initiative sieht diverse Ausnahmen vor, etwa für die Europäische Menschenrechtskonvention oder steuerrechtliche Abkommen.
Laut Glaser hätte auch die Neutralitätsinitiative von Christoph Blocher realpolitische Folgen, etwa dass die Schweiz gegen kriegführende Staaten keine Sanktionen mehr ergreifen dürfte. Die Schweiz müsste sich bei Kriegen zwischen Drittstaaten stärker zurückhalten.
Nebst den beiden Initiativen streben auch Bundesrat und Parlament in den nächsten Monaten eine Neudefinition der Schweizer Neutralität an: Eine Weichenstellung in Sachen Neutralität steht der Schweiz also definitiv bevor.