Eines kann man der Mehrheit im Ständerat nicht vorwerfen: Dass sie sich hätte beeinflussen lassen von einer momentanen Stimmung, vom erst gerade verhallten Applaus für das Pflegepersonal während der Coronazeit. Denn der Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative, so wie ihn der Ständerat beschlossen hat, geht hinter die Zugeständnisse des Nationalrats zurück – gemacht im Dezember, als das neue Coronavirus erst wenigen Experten bekannt war.
Zweimal abgeschwächt
Vor allem zwei Massnahmen, mit denen der Nationalrat dem Pflegepersonal entgegenkommen wollte, haben die bürgerliche Mehrheit abgeschwächt. Erstens die Ausbildungsoffensive: Hier geht es darum, dass sich mehr Menschen für die besser qualifizierten Berufe in der Pflege entscheiden. Das soll ihnen mithilfe direkter Beiträge für ihre Lebenskosten während der Ausbildung erleichtert werden. Die Ständeräte wollen die Kantone aber nicht in die Pflicht nehmen und es ihnen überlassen, ob sie solche Beiträge zahlen wollen oder nicht. Das spart sicher Geld, verkleinert aber wohl auch den beabsichtigten Anreiz.
Zweitens: Der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit der Pflegefachkräfte. Nicht immer für alles den Arzt fragen zu müssen, soll den Beruf attraktiver machen. Aber hier bremst der Ständerat: Eine Spitex-Mitarbeiterin zum Beispiel soll nur dann direkt mit einer Krankenkasse abrechnen können, wenn sie zuvor einen Vertrag abgeschlossen hat.
Kongruenz von Kantonen und Krankenkassen
Die Debatte war, wie oft in der Gesundheitspolitik, vor allem eine Diskussion der Interessenvertreter. Zum einen sind alle Ständeherren und -damen auch Kantonsvertreter. Dass die Kantone in einem Bereich der Ausbildung zu neuen Ausgaben gezwungen werden könnten, war ihnen ein Dorn im Auge. Zum anderen ergriffen gleich mehrere Ständeräte mit Interessenbindungen in die Krankenkassenbranche das Wort. In der Minderheit blieben auf der anderen Seite jene, die im Namen der Urheberinnen und Urheber der Pflegeinitiative oder von Spitex-Organisationen sprachen.
Der Berufsverband der Pflegefachkräfte, der hinter der Initiative steht, kann mit dem Gegenvorschlag zu seiner Initiative in der Fassung des Ständerats nicht zufrieden sein. Schon in der Version des Nationalrats fehlte dem Verband ein wichtiger Aspekt: Massnahmen für bessere Arbeitsbedingungen, damit nicht mehr fast die Hälfte des Pflegepersonals den Beruf wieder aufgibt.
Die Pflegerinnen und Pfleger müssen hoffen, dass nach dem weiteren Hin und Her im Parlament ein aus ihrer Sicht besseres Ergebnis auf dem Tisch liegt. Dann könnten sie ihre Initiative zurückziehen. Sonst kommt das Begehren vors Volk, wo sich zeigen wird, wie laut bei den Stimmberechtigten der Applaus für die Pflegenden noch nachhallt.