Letzthin sagte SP-Präsidentin Mattea Meyer im «Tages-Anzeiger» einen bemerkenswerten Satz. Angesprochen auf die Sitzverluste bei kantonalen Wahlen gestand sie zwar ein, dass «wir bei den meisten kantonalen Parlamentswahlen verloren haben». Aber: «Bei den Exekutivwahlen ist das Bild viel positiver. Und wir waren noch selten so erfolgreich bei den Volksinitiativen.»
Die Durchhalteparole der SP-Co-Chefin ist nicht falsch und doch nicht richtig. Bei Regierungsratswahlen kann sich die SP zwar halten, dazugewinnen tut sie aber nicht. Volksabstimmungen kann die SP zwar gewinnen, aber sie ist eine Bundesratspartei und nicht einfach eine Bewegung, die sich mittels ausserparlamentarischen Inputs Gehör verschafft. In der politischen Geschichte wird aus einer kleinen Bewegung eine einflussreiche Partei (Grüne). Will die SP den umgekehrten Weg gehen?
Die SP-Spitze tut so, als wären ihre Verluste gaaar nicht sooo schlimm. Und redet diese rosa, weil man vornehmlich an die Grünen verliere, an Gleichgesinnte also.
Die Wahrheit aber ist: Die anhaltenden SP-Verluste sind eine tiefrote Schreckensbilanz. Keine Partei hat in den letzten Monaten so stark verloren wie die rote. Und keine so gewonnen wie die Grünen und die Grünliberalen (GLP). Am Sonntag wieder: Die Grünen gewannen im Kanton Bern fünf Sitze dazu, die SP verlor deren sechs. Bei Gemeindewahlen im Kanton Zürich liess die SP 18 Sitze liegen, die Grünen holten 13 dazu, die GLP sogar 18.
Verlust von politischem Einfluss
Die SP verliert nicht nur Posten, sondern auch politische Gestaltungsmöglichkeiten. Sie verliert Einfluss in Parlamentskommissionen, wo über Projekte der Zukunft bestimmt wird. Kurzum, auch wenn Sozialdemokraten dieses Wort «Pfui» finden: Die SP verliert politische Macht. Das ist das Gesetz der Demokratie. Die SP wäre die erste Partei, der das gleichgültig ist.
Noch gibt sich die SP-Spitze nach aussen hin gelassen. Ihr Blick sollte sich schnell nach innen richten sowie nach vorne: In 17 Monaten werden National- und Ständerat gewählt und damit indirekt der Bundesrat. Ein wichtiger Faktor dafür sind die Wählerstärken der Parteien. Bereits 2019 verlor die SP markant an die Grünen, worauf diese zaghaft ihre erste und ernstzunehmende Bundesratskandidatur installierten.
2023 werden die Grünen einen Bundesratssitz nicht mehr nett nachfragen, sondern energisch einfordern. Denn sie haben dann eine Legislatur lang darauf verzichtet und es ist anzunehmen, dass sich die Wählerstärken von SP (16.8 %) und Grünen (13.2 %) weiter annähern.
Beides würde kaum zu einem zusätzlichen Bundesratssitz für Rot-Grün führen (dass die FDP so stark verliert, zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil), sondern zum Verlust eines der beiden SP-Sitze. Bundesrat Berset oder Sommaruga droht, abgewählt zu werden zugunsten einer grünen Kandidatur.
Grün gegen Rot
Die Bürgerlichen könnten an diesem Szenario durchaus ihre Freude haben: Die über Jahrzehnte in der Bundesverwaltung aufgebaute Kraft (Macht) der SP würde entscheidend geschwächt und im Zuge der Bundesratswahlen – und schon davor – müssten sich Rot und Grün bekämpfen, was die Spitzen der SP sowie der Grünen bis anhin tunlichst vermeiden.
Kümmert das die SP-Spitze denn gar nicht? Es scheint so: Auf Twitter schrieb SP-Co-Chef Cédric Wermuth bezüglich Wahlverlusten, man würde politischen Erfolg an dem messen, «was man für die Menschen erreicht. Und nicht, wie viele Posten man verteilt hat.»
Mit Blick auf die Wahlen 2023 wollen sich Herr Wermuth und Frau Meyer vielleicht mal kurz darauf besinnen, wozu die – notabene demokratisch – verteilten SP-Posten im Bundesrat und in Parlamenten gut sind. Nämlich genau dazu, für Menschen etwas zu erreichen.