Das Wichtigste in Kürze
- Fünf Wochen vor dem Urnengang lehnen 55 Prozent der Stimmberechtigten die Selbstbestimmungs-Initiative ab. 39 Prozent sind dafür.
- Trotzdem halten die Politologen von gfs.bern eine Wende bis zum 25. November für möglich: Das Rennen sei nach wie vor offen.
- Für einen Stimmungsumschwung brauche es aber eine Proteststimmung, die auch ausserhalb der SVP-Stammwählerschaft mobilisiert.
Kaum waren die Stimmzettel des Urnengangs vom 23. September ausgezählt, liefen in Schweizer Bahnhöfen und Innenstädten Plakat-Männer (-und Frauen) in weissen Overalls auf. Prompt waren die Abstimmungsplakate zu den Ernährungs- und dem Gegenentwurf zur Velo-Initiative überklebt.
Denn mit der Selbstbestimmungs-Initiative der SVP wird am 25. November über das vielleicht polarisierendste Polit-Dossier des Jahres abgestimmt. Gegner und Befürworter brachten sich frühzeitig in Stellung: «Die Kampagnen haben ungewöhnlich früh begonnen» sagt die Politologin Martina Mousson vom Institut gfs.bern, das die Umfrage im Auftrag der SRG durchgeführt hat.
Zugkräftige Argumente auf beiden Seiten
Eine Folge davon: Schon zwei Drittel der Befragten haben bereits eine feste Stimmabsicht. Zumal sich die Stimmberechtigten schon in früheren, ähnlich gelagerten Abstimmungen mit dem Spannungsfeld «Schweiz und Europa» auseinandergesetzt hätten, wie Mousson festhält.
Wir wissen nicht, was geschehen wird.
Die SVP will die Schweizer Verfassung mit der Selbstbestimmungs-Initiative in allen Fällen über Völkerrecht stellen. Sie kann insbesondere mit den Argumenten punkten, dass das Schweizer Stimmvolk selbst bestimmen solle und die Bundesverfassung die Menschenrechte bereits garantiere.
Die Gegner der Vorlage fürchten um die Stellung der Schweiz als verlässlicher Partner in den internationalen Beziehungen. Ein Argument, das auch viele Stimmbürger umtreibt: «Und man fürchtet auch, die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Handelspartner aufs Spiel zu setzen», so Mousson.
Abgesehen von sachpolitischen Erwägungen reisst die Initiative aber auch die ideologischen Gräben auf: «Alle gegen die SVP» hiess es im Parlament. Dies hat sich – zumindest für den Moment – auch auf das Stimmvolk übertragen. So steht derzeit nur die Stammwählerschaft der SVP hinter der Initiative. Dies mit satten 83 Prozent, während die Vorlage im linken Lager ähnlich deutlich verworfen wird.
Erinnerungen an frühere SVP-Initiativen
Dazu kommt: Im Normalfall verlieren Initiativen, die gegen Parlament und Bundesrat antreten, in der Schlussphase des Abstimmungskampfes weiter an Support. Aber keine Regel ohne Ausnahme. «Die Zuwanderungsinitiative der SVP ist mit ganz ähnlichen Werten gestartet», erinnert Mousson. Und tatsächlich schlug das Pendel bis zum Abstimmungssonntag vom 9. Februar 2014 noch (hauchdünn) um.
Nach dem wuchtigen Nein zur Durchsetzungsinitiative von 2016 sieht gfs.bern die SVP aber in der Defensive. «Stimmbeteiligung und Mobilisierung waren damals speziell. Die Schweiz war in Aufruhr», sagt Mousson. Die SVP habe sich inzwischen organisatorisch und personell neu aufgestellt, was die Kampagnenführung anbelangt: «Es bleibt abzuwarten, ob sich der Erfolg einstellen wird.»
Mit der bevorstehenden Abstimmung werde sich zeigen, ob der «Stempel SVP» zum Problem geworden sei: «Allerdings war dieser Stempel bei früheren Abstimmungen kein Problem», gibt Mousson zu bedenken. Damit die Stimmung tatsächlich noch kippt, müsste die SVP in den kommenden Wochen auch ausserhalb der eigenen Wählerschaft überzeugen.
«Dafür finden wir derzeit aber nur beschränkte Anzeichen, etwa im Umfeld der FDP und der Parteiungebundenen», sagt Mousson. Ein Reservoir für einen Stimmungsumschwung bilden regierungskritisch eingestellte Menschen. Von ihnen sind bereits über 60 Prozent für die Initiative – sie könnten noch verstärkt auf SVP-Kurs einschwenken.
Die Politologen von gfs.bern halten eine Trendwende nicht für ausgeschlossen. Voraussetzung dafür: Eine «populistische Aufladung» in der heissen Phase des Abstimmungskampfs. Oder, weniger akademisch ausgedrückt, eine Proteststimmung, die auch ausserhalb der SVP-Wählerschaft zieht.
Ein Thema, das die Gemüter auch über SVP-Kreise hinaus erhitzen könnte, wäre etwa ein krachendes Scheitern der Verhandlungen um ein Rahmenabkommen mit der EU. Verbunden mit neuerlichen Misstönen und Retorsionsmassnahmen zwischen Bern und Brüssel. Das alles bleibt jedoch Spekulation.