Das Wichtigste in Kürze
- Fünf Wochen vor der Abstimmung über die Überwachung von Sozialversicherten scheinen die Meinungen schon gemacht: 57 Prozent der Stimmberechtigten würden der Vorlage zustimmen, 39 Prozent sind dagegen.
- Gegner der Vorlage kommen vor allem von der politischen Linken, wie die erste Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG zeigt.
- Sie müssten bis zum Abstimmungssonntag vom 25. November noch mehr die Schwächen des Gesetzes attackieren, um den Trend umzukehren.
Ein Meinungswandel würde an eine Sensation grenzen, ist der Politologe Lukas Golder vom Instititut gfs.bern überzeugt, denn das Nein-Lager sei bereits recht hoch aufgebaut.
Mit dem neuen Gesetz über die Überwachung von Sozialversicherten sollen Detektive legal Personen überwachen können, die unter Betrugsverdacht stehen – dies nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte moniert hatte, dass es für die bereits gängige Praxis keine gesetzliche Grundlage gäbe.
Missbrauchsbekämpfung ist wichtiger als Privatsphäre
Im früh gestarteten Abstimmungskampf wurde durchaus auf die Schwächen der Vorlage hingewiesen: Darf die Beobachtung bis ins Schlafzimmer der mutmasslichen Betrüger gehen? Dürfen Drohnen für Videoaufzeichnungen eingesetzt werden? Erhalten die Versicherungen zu viel Macht und Privatdetektive mehr Befugnisse als die Polizei? Alles Argumente, die die Befragten gelten lassen.
Aber: Das Grundprinzip der Fairness sei weit wichtiger als die Schwächen dieser Vorlage. «Man wünscht sich, dass eine Überwachung möglich sein soll, wenn Verdacht auf Betrug besteht», so Golder.
Im Vordergrund steht der Wunsch nach mehr Überwachung als wirksames Mittel zur Bekämpfung von Missbrauch und Betrug bei den Sozialversicherungen. Für 72 Prozent der Befragten ist dies das Hauptargument für ein Ja, wie gfs.bern ermittelt hat.
Betrügen tun nur die anderen
Kommt dazu, dass sich zwei Drittel davon versprechen, dass die Versicherungsleistungen dadurch stärker akzeptiert werden. Das Gesetz hat also gute Chancen, «weil es etwas adressiert, dass sich die Leute wünschen».
Und dafür ist man auch bereit, Eingeständnisse bei der Privatsphäre zu machen: «Die Privatsphäre wäre natürlicherweise das Hauptgegenargument gegen die neue Regelung. Aber genau da fühlen sich die meisten nicht betroffen, da sie ein Vertrauen haben, dass sie eigentlich auf der rechten Seite sind, keinen Betrug begehen oder beabsichtigen.»
Dieses Argument müsste laut Golder weit breiteren Kreisen zu denken geben, doch zeichne sich diese Betroffenheit zurzeit nicht ab.
Links gegen den Rest
Das Nein-Lager hinkt also bei jenen, die ihre Meinung schon definitiv gemacht haben, 11 Prozentpunkte zurück. «Das Referendum hat ausserhalb linker Kreise wenig Chancen». Tatsächlich ist die Ablehnung nur bei den Anhängern der SP und den Grünen über 60 Prozent.
Die SVP-Wähler und die Parteiungebundenen stehen auf der entgegengesetzten Seite. Bei den Mitteparteien CVP und FDP, die in solch polarisierten Situationen das Zünglein an der Waage spielen, überwiegt hingegen klar die Ja-Seite.
Stehen die Gegner auf verlorenem Posten? «Die Nein-Seite hat ein Problem», bilanziert Golder. Was müsste also geschehen, damit doch noch die Sensation eintrifft, und die Vorlage abgelehnt wird?
Um eine Mehrheit von einem Nein überzeugen zu können müssten die Schwächen in den Vordergrund gerückt werden. «Man muss breitere Kreise davon überzeugen können, dass die Schwächen viel deutlicher zu betonen sind, als das Prinzip der Überwachung, das eben akzeptiert ist», so Golder. Und nicht zuletzt müsste der Abstimmungskampf vermehrt auch ausserhalb des Internets geführt werden.
Regierungskritische für einmal auf Regierungslinie
Doch viele Nein-Stimmen zu holen sind da nicht mehr: Lediglich 4 Prozent der Befragten hat sich noch nicht entschieden. Und diese Unentschiedenen tendieren eher zum Ja-Lager. Bei dieser Vorlage zeigt sich laut Golder zudem: Entgegen der Erfahrung wollen Personen, die grundsätzlich weniger Vertrauen in die Regierung haben, Ja zu mehr Überwachung potenzieller Sozialversicherungsbetrüger sagen – und somit den Empfehlungen von Parlament und Bundesrat folgen. Somit kann die Gegnerschaft hier schwerer mobilisieren und Stimmen holen.
Golder geht denn auch davon aus, dass sich das in der ersten Umfrage gezeichnete Bild so halten wird, «alles andere wäre eine Überraschung». Die Sensation wird wohl ausbleiben.