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Die Wolfsdebatte Graubünden wehrt sich gegen Herdenschutz auf Vorrat

Präventiver Herdenschutz habe negative Folgen, sagt der Direktor der landwirtschaftlichen Schule Graubündens.

Seit rund zehn Jahren vermehren sich in der Schweiz die Wölfe. Inzwischen gibt es über hundert Tiere. In der Ostschweiz leben sie in den Kantonen Glarus, St. Gallen und insbesondere im Kanton Graubünden. Vor allem auf den Alpen wurden die Bauern diesen Sommer mit dem Wolf konfrontiert.

Gleich viele Wolfsrisse wie im Vorjahr

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Das Regionaljournal Graubünden hat Anfang September eine Umfrage bei allen Ostschweizer Kantonen gemacht:

In Graubünden sind laut kantonalen Daten 212 Nutztiere – über 95 Prozent davon Schafe – gerissen worden. Dies zeigt eine Umfrage, welche das Regionaljournal Anfang September bei allen Ostschweizer Kantonen gemacht hat. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Risszahlen stabil geblieben. Es ist unklar, wie viele Tiere geschützt waren.

Andere Ostschweizer Kantone haben deutlich weniger Wölfe und darum auch weniger Schäden. In St. Gallen sind dieses Jahr 53 Schafe und Ziegen gerissen worden. Ähnlich viele wie im Vorjahr. Ein Viertel davon waren geschützt.

Im Kanton Glarus sind in diesem Jahr zehn Nutztiere gerissen worden und in beiden Appenzell je eine Ziege. Im Thurgau gab es keine Risse.

Die Wölfe haben vereinzelt auch grössere Nutztiere angegriffen. Im Kanton St. Gallen musste ein Rind nach einem Angriff operiert werden, in Graubünden sind drei Esel, drei Kälber und eine Kuh von Wölfen verletzt worden. Bei vier weiteren Fällen wartet man noch auf die DNA-Analyse.

Wie haben die Älplerinnen und Älpler den Sommer erlebt? Was sind die Baustellen beim Herdenschutz? Darüber spricht Radio SRF mit Sara Wehrli von Pro Natura Schweiz und Peter Küchler vom Plantahof in Landquart, der landwirtschaftlichen Schule Graubündens. Es treffen verhärtete Fronten aufeinander.

Zwei gegensätzliche Positionen

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Sara Wehrli ist bei der Naturschutzorganisation Pro Natura Schweiz für das Thema Wolf zuständig. Sie ist Naturschutzbiologin und Geografin.

Peter Küchler ist Direktor des Plantahofs in Landquart, der landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte des Kantons Graubünden und der Ostschweiz. Er ist Agraringenieur. Der Plantahof ist für das Thema Herdenschutz zuständig.

«Unser Ziel ist es, die Koexistenz mit dem Wolf zu ermöglichen», sagt Peter Küchler als Vertreter des Kantons Graubünden. Die dafür nötige Akzeptanz sei jedoch eine Herausforderung. Der Wolf sei kein einfaches Tier, ergänzt Sara Wehrli als Vertreterin der Umweltschutzorganisation Pro Natura: «Eine solche Koexistenz läuft nie ohne Störgeräusche ab». Als Gesellschaft habe sich die Schweiz aber für ein Zusammenleben entschieden.

Der Kanton Graubünden hatte wenige Stunden vor dem Gespräch mit Küchler und Wehrli den Abschuss zweier Jungwölfe aus dem Beverin-Rudel bekannt gemacht. Der Abschuss war zwei Tage zuvor vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) bewilligt worden. Sara Wehrli lässt offen, ob Pro Natura als beschwerdeberechtigte Organisation diese Bewilligung anfechten wird: «Wir müssen zuerst die Unterlagen prüfen».

Diese Aussage wertet Peter Küchler als Affront. Mit den Wölfen des Beverin-Rudels sei eine Koexistenz nicht möglich, der Leitwolf müsse geschossen werden: «Pro Natura würde in der Landwirtschaft viel Goodwill schaffen, wenn sie auf das BAFU zuginge und offensiv forderte, den Leitwolf zu schiessen.»

Der Herdenschutz soll präventiv aufgebaut werden.
Autor: Sara Wehrli Pro Natura Schweiz

Punkto Herdenschutz habe die Landwirtschaft dieses Jahr sehr viel geleistet, nun erwarte man ein Entgegenkommen bei der Wolfsregulierung, so Peter Küchler. Einen hundertprozentigen Schutz gebe es nicht, am Herdenschutz führe nichts vorbei, sagt darauf Sara Wehrli.

Man sei auf gutem Weg «mit der starken Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand und der Beratung durch den Kanton». Teils werde der Herdenschutz noch etwas zögerlich eingesetzt. Sie wünsche sich, der Herdenschutz würde präventiv aufgebaut. Das heisst, die Verantwortlichen sollten vorbeugend Schutzmassnahmen ergreifen statt zuzuwarten, bis es zu Rissen kommt.

Warten bis der Wolf kommt?

Der Aufwand sei riesig, widerspricht Peter Küchler: «Herdenschutz ist ein Zehnkampf, bei dem man jede Disziplin beherrschen muss». Der Kanton sei nicht bereit, in Gebieten ohne Wölfe präventiv aktiv zu werden: «Wir sind klar der Meinung, präventiver Herdenschutz wäre schlecht für die Natur, für die Gesellschaft und für den Tourismus.» Es mache beispielsweise keinen Sinn, das Engadin mit kilometerlangen Zäunen auszustatten und mit Unmengen von Herdenschutzhunden zu bevölkern. Eine Aussage, die Sara Wehrli kommentiert: «Sie wollen also in jeder Gemeinde darauf warten, bis der Wolf kommt?»

Präventiver Herdenschutz wäre schlecht für Natur, Gesellschaft und Tourismus.
Autor: Peter Küchler Direktor der landwirtschaftlichen Schule Plantahof

Wie lässt sich der Konflikt entschärfen? Auch die Meinungen auf diese Frage gehen auseinander: Sara Wehrli von Pro Natura plädiert für den Dialog, um tragfähige Lösungen zu finden: «Die verschiedenen Parteien sollen aufeinander zugehen und ernsthaft miteinander reden».

Dem widerspricht der kantonale Vertreter Peter Küchler. Die Zeit für Diskussionen sei vorbei: «Es braucht jetzt sofort eine Regulierung, die wirksam ist und die richtigen Tiere trifft – und zwar sofort und ohne Umstände».

SRF 1, Regionaljournal Ostschweiz und Graubünden, 08.09.2021, 17:30 Uhr

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