Die typische Person, die sich in der Schweiz politisch beteiligt, ist 57-jährig, gebildet und männlich. Doch digitale Plattformen erlaubten es, die Diskussion auf breitere Bevölkerungsschichten auszuweiten, sagt Stefanie Bosshard vom Dachverband der Schweizer Jugendparlamente. «Wir haben herausgefunden, dass diese Plattform tendenziell die sozio-demografischen Merkmale überwinden kann. Das ist manchmal bei der analogen Partizipation nicht der Fall.»
Informieren Sie sich selbst:
Das hat der Dachverband der Jugendparlamente anhand ihrer eigenen Plattform aufgezeigt. Dort können junge Menschen Anliegen einbringen und direkt an die politisch Verantwortlichen adressieren. Eine Chance der Digitalisierung sei, dass Minderheiten sichtbarer werden, sagt Stefanie Bosshard, das Risiko sei hingegen, dass sich Menschen in ihre Echokammern zurückzögen, also sich nur mit Gleichgesinnten austauschten und die Vielfalt der Argumente ausblendeten.
Diese Tendenz sei aber in der Schweiz nicht sehr ausgeprägt, erklärt Urs Bieri vom Forschungsinstitut GFS Bern. «Es gibt verschiedene Studien, die aufzeigen, dass dies nicht geschieht. Man hat nach wie vor sehr viele Informationen zur Verfügung, nicht nur in den digitalen Räumen, sondern auch offline in Diskussionen mit dem Umfeld. Das hilft, Informationen in der ganzen Breite zu erhalten und entscheiden zu können.»
Rückzug ist möglich
Es gebe allerdings gewisse Gruppen von Menschen, die sich aktiv in Echokammern zurückzögen und sich nicht über die professionellen Informationsanbieter informieren wollten. Das werde durch die Digitalisierung nicht gefördert, aber zumindest ermöglicht.
Die politische Würdigung der verschiedenen Studien oblag Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger, der im Stiftungsrat der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA Swiss sitzt. Die Chancen der Digitalisierung müsse durch Ausbildung gefördert werden, damit möglichst wenig Menschen ausgeschlossen seien von der politischen Debatte im Netz, sagt er.
Ein weiteres Risiko sei, dass die Politik auf binäre Eigenschaften reduziert werde, also schwarz-weiss oder für oder gegen etwas zu sein oder einfach eine Mehrheit zu generieren. «In Wirklichkeit braucht Politik Fantasie. Es müssen Kompromisse gesucht werden, Minderheiten müssen einbezogen werden. Das droht durch die Digitalisierung etwas unterzugehen, und das muss in Erinnerung gerufen werden», so Leuenberger.
Die TA-Swiss-Studie wirft auch die Frage einer Regulierung der grossen Social Media Plattformen auf. Das sei aber eher ein Appell an die Staatengemeinschaft, sagt Leuenberger, denn ein Nationalstaat allein könne die international tätigen Technologiekonzerne nicht an die Kandare nehmen.