Was ändert sich ab dem 1. Januar 2025 genau? Gerichte dürfen in Zivilverfahren mündliche Prozesshandlungen mittels Video- oder Telefonkonferenzen durchführen. Die Gerichte können also entweder ganze Gerichtsverhandlungen digital durchführen oder einzelne Personen per Videokonferenz hinzuschalten. Bei Strafrechtsfällen ist es schon länger möglich, eine Einvernahme mittels Videokonferenz durchzuführen, wenn eine Person nicht oder nur mit grossem Aufwand persönlich erscheinen könnte.
Warum will man Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz künftig erlauben? Anlass ist eigentlich die Corona-Pandemie. Per Notrecht liess der Bundesrat während der Pandemie Videokonferenzen in Zivilverfahren befristet zu. Da sich das offenbar bewährt hat, werden Videokonferenzen nun unbefristet erlaubt. Videokonferenzen in Gerichtsverfahren haben viele Vorteile: Richterinnen und Richter können mehr Homeoffice machen. Anwältinnen und Parteien müssen nicht mehr zum Gericht fahren und sparen dadurch Zeit und Geld. Es können Sachverständige oder Zeugen aus dem Ausland befragt werden, denen es sonst vielleicht nicht möglich wäre, vor Gericht zu erscheinen. Auch der Kreis der Dolmetscherinnen und Dolmetscher wächst, wenn sie digital eingesetzt werden.
Was sind die Nachteile? «Die Richterinnen und Richter können dem Kläger oder der Zeugin nicht in die Augen schauen und daher ihre Glaubwürdigkeit weniger gut beurteilen», sagt Anne Paschke, die als Professorin für öffentliches Recht, Technikrecht und Recht der Digitalisierung an der Technischen Universität Braunschweig zur Digitalisierung des Gerichtsverfahrens forscht. Aber auch auf die Parteien hinterlasse eine Videokonferenz einen anderen Eindruck als ein Gerichtssaal: «Die Atmosphäre eines Gerichtssaals vermittelt den Betroffenen eher den Eindruck von: Jetzt gilt es ernst, jetzt muss ich ehrlich aussagen!»
Werden Gerichtsverhandlungen künftig nur noch per Videokonferenz durchgeführt? Nein. Betroffene können zwar einen Antrag stellen. Die Gerichte entscheiden aber selbst, ob sie elektronische Mittel einsetzen wollen. Laut dem Rechtsprofessor Michele Luminati, Direktor des Obwaldner Instituts für Justizforschung, stehen die Chancen gut, dass sich Videokonferenzen in Zivilverfahren stärker etablieren als in Strafverfahren: «Im Strafprozess hat das prozessuale Prinzip der Unmittelbarkeit schon immer eine grössere Rolle gespielt – zusammen mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit als Grundsätze gegen inquisitorische Verfahren. Zivilprozesse sind stärker durch Schriftlichkeit geprägt und stehen meistens weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.»
Kann ich jetzt nicht mehr zuschauen? Laut Gesetz muss der Zugang für die Öffentlichkeit auch bei Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz gewährleistet bleiben. Interessierte können entweder vor Ort auf dem Bildschirm zuschauen oder direkt elektronisch zugeschaltet werden. Laut Rechtsprofessor Luminati sind die Details allerdings noch nicht klar. Zum Beispiel, wie die Sicherheit gewährleistet wird, wenn Interessierte per Livestream Zugang zur Gerichtsverhandlung erhalten. Unklarheiten bestünden auch bei der Frage, ob man sich im Voraus anmelden muss.