Eine Impfpflicht in der Schweiz ist kein Thema. Doch darf Nicht-Geimpften der Zutritt zum Theater, Restaurant oder Flugzeug verweigert werden? Für Staatsrechtlerin Eva Maria Belser wäre das rechtlich möglich. Sie plädiert aber für einen demokratisch abgestützten Entscheid.
SRF News: Bahnt sich ein indirekter Impfzwang an, gesteuert über private Unternehmen?
Eva Maria Belser: Im Moment weist vieles darauf hin, dass es in diese Richtung geht. Der Bundesrat hat verkündet, er werde keinen Impfzwang einführen. Damit liegt der Ball weitgehend bei den Privaten, seien es Anbieter von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitgeber.
Unternehmen dürfen ihrer Kundschaft vorschreiben, unter welchen Voraussetzungen sie mit ihnen geschäften wollen. Gibt es Grenzen in der Gesetzgebung?
Ja, diese gehen aber gerade in der Schweiz nicht sehr weit. Grenzen gibt es zum Beispiel im Personenbeförderungsgesetz. Wer Personen auf Schiene, Strasse oder Wasser transportiert, untersteht grundsätzlich einer Transportpflicht. Im ÖV gäbe es also eine recht klare Regelung, die einen indirekten Impfzwang verunmöglicht.
Die SBB dürfen also keine Gesundheitsvorschriften machen, die Swiss aber schon?
Das ist die Frage. Im Luftverkehrsgesetz sehe ich aber keine parallele Bestimmung. Das heisst: Dort – wie in vielen anderen Bereichen – ist die schweizerische Rechtsordnung im Moment nicht in der Lage, Private daran zu hindern, den indirekten Impfzwang einzuführen.
Angenommen, ich möchte mich auf keinen Fall impfen lassen, aber trotzdem an ein Konzert gehen, bei dem das Publikum nur mit Impfausweis eingelassen wird: Kann ich mich mit dem Argument wehren, dass eine Impfung das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletze?
Ein privater Kulturanbieter ist kein Grundrechtsadressat. Nur gegenüber dem Staat kann ich eine Grundrechtsverletzung geltend machen. Mit Privaten verhandle ich über Verträge oder haftpflichtrechtlich. Ich müsste geltend machen können, dass ich einen Anspruch darauf habe, dass der Kulturanbieter mit mir einen Vertrag abschliesst.
Es handelt sich um eine derart gesellschaftlich und demokratiepolitisch wichtige Frage, dass wir sie so beantworten sollten, wie wir das für wichtige Entscheide vorsehen: nämlich rechtsstaatlich und demokratisch.
Wäre es nicht folgerichtig, dass der Staat entscheidet, ob es eine staatlich verordnete Impfpflicht braucht?
Es handelt sich um eine derart gesellschaftlich und demokratiepolitisch wichtige Frage, dass wir sie so beantworten sollten, wie wir das für wichtige Entscheide vorsehen: nämlich rechtsstaatlich und demokratisch.
Welches Interesse ist höher zu gewichten: Das des Einzelnen selber zu entscheiden, ob man sich impfen will oder nicht – oder das der Allgemeinheit, aufgrund einer starken Durchimpfung ohne Einschränkungen leben zu können?
Mit einem klaren Ja oder Nein kann man diese Frage nicht beantworten. Wir sind gezwungen, abzuwägen. Deswegen finde ich es so wichtig, dass wir uns demokratisch auf ein Gesetz einigen. Es gibt ein grosses öffentliches Interesse, dass wir möglichst bald die «Herdenimmunität» erreichen. Mit welchen Mitteln wir das erreichen wollen und wie viel Druck auf Personen ausgeübt werden soll, die sich nicht impfen lassen wollen, darüber müssten wir uns einigen.
Wahrscheinlich kann die Wahrheit nur im Grauen liegen. Gewisse Dienstleistungen müssen für alle offen sein, andere weniger. Ich wünsche mir dringend einen regeren Diskurs. Die Unsicherheiten sollten behoben werden. Gerade auch um Impfskeptikern zu begegnen, die im Moment von der Ungewissheit profitieren und alle möglichen Szenarien an die Wand malen – weil wir keine Antworten auf drängende Fragen haben.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.