Noch stehen die endgültigen Zahlen für den Stromverbrauch im abgelaufenen Monat aus. Erste Erkenntnisse deuten jedoch nicht auf eine drastische Reduktion hin. Und dies, obwohl der Bund mit einer grossangelegten – aber auch umstrittenen – Stromsparkampagne gestartet ist. Nützen solche Aufrufe also überhaupt? Eine Expertin ordnet ein.
SRF News: Was halten Sie von der aktuellen Stromsparkampagne des Bundes?
Christina Marchand: Grundsätzlich ist das positiv zu bewerten. Vor allem der Symbolcharakter ist nicht zu unterschätzen. Die Kampagne weist aber viele Schwächen auf. Man hat das Gefühl, dass sie sehr schnell umgesetzt werden musste.
Wie wichtig ist der persönliche Verzicht?
In einer akuten Phase braucht es den Verzicht. Mittelfristig sollten wir als Gesellschaft aber einmal innehalten und eine Auslegeordnung vornehmen: Woher stammen unsere Energiequellen? Welche Energieträger verbrauchen tatsächlich am meisten Strom? Wo sind Einsparungen möglich? Leider sind wir davon noch weit entfernt.
Was meinen Sie damit?
In unserem System fehlen zurzeit Feedback-Mechanismen. Schon heute gibt es Apps, die einem den persönlichen Verbrauch anzeigen. Wenn diese zusammen mit sozialen, spielerischen Methoden richtig genutzt werden, dann können laut wissenschaftlichen Studien bis zu 30 Prozent Strom gespart werden.
Leider ist das aufwendig und wird viel zu wenig eingesetzt. Und so verkommen Kampagnen wie die Aktuelle des Bundes auch schnell zu blossen Aufrufen. Freiwilligkeit funktioniert in kleinen geschlossenen Gruppen mit starker sozialer Kontrolle. Hier haben wir es aber mit einem hochkomplexen Thema zu tun. Wie kann ich sicher sein, dass andere nicht doch mehr verbrauchen als ich?
Was schlagen Sie vor?
Da gibt es ganz viele Ideen: Eine wäre, dass Helfer mit Messgeräten die Menschen zu Hause unterstützen, um die grossen Stromfresser ausfindig zu machen – beim Contact Tracing konnte man ja auch schnell solche Helfer anlernen.
Vor allem aber sollte man endlich richtige Preisanreize schaffen. Der Strompreis hierzulande war lange viel zu billig. Würde dieser etwa konsequent höher angesetzt und der Aufschlag pro Kopf rückverteilt, dann gäbe es einen Anreiz zu sparen und würde gleichzeitig Menschen mit geringem Stromverbrauch belohnen.
Regeln machen das Leben manchmal einfacher.
Und auch klare Vorgaben müssen Teil des Mix sein. Regeln machen das Leben manchmal auch einfacher.
Woran harzt es in der politischen Debatte?
Jahrelang wurde das Thema klein gehalten – nun explodiert es plötzlich. Das nimmt dem politischen System auch ein wenig die Glaubwürdigkeit. Grundsätzlich kann man sagen: Wir lassen die grossen Brocken in der Debatte aussen vor und stellen uns die wichtigen Fragen nicht.
Wer ist schuld?
In den Ämtern, Unternehmen und der Politik sitzen heute Leute, die auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Doch dieser bezieht sich auf die Vergangenheit. Was wir jetzt brauchen, sind Zukunftsinvestitionen.
Glücklicherweise tut sich langsam etwas. In vielen Gemeinden gibt es beispielsweise heute schon eine Energieberatungsstelle.
Kommt es wirklich zu einer Stromkrise?
Im Moment könnte es aufgrund des Ukraine-Kriegs zu einer Strommangellage kommen. Doch langfristig rollt die Tsunami-Welle der Klimakrise auf uns zu. Heute noch unvorhersehbare Katastrophen könnten unsere Versorgung vor riesige Herausforderungen stellen. Da sehe ich vom Bund noch keine Szenarien.
Wie sparen Sie selbst Strom?
Ich persönliche setze die Massnahmen, die der Bund jetzt ausgerufen hat, schon seit Jahren um. Doch ich muss auch ganz klar sagen: In der Mehrheit setzt sich das nicht durch.
Das Gespräch führte Patrick McEvily.