«Kann ich Dir etwas zeigen?», klingt es im Sportgeschäft. «Hast Du schon ausgewählt?», vielleicht im Restaurant. Was in vielen Arbeitsumgebungen auch zwischen Vorgesetzten und Angestellten Einzug hält, schwappt in die Beziehung zwischen Unternehmen und Kundschaft über: die Du-Kultur.
Die Tourismusorganisation in der Ferienregion Lenzerheide (GR) setzt in der Kommunikation seit einem Jahr auf konsequentes Duzen gegenüber Gästen – und ermuntert nun auch Hotels, Restaurants oder Geschäfte dazu, es ihr gleichzutun. Das polarisiert. Im Skiverleih sagt ein junger Mann, als er geduzt wird: «Ich habe kein Problem damit. Es zeigt die Freundlichkeit der Leute. Das gefällt mir.»
Je nach Land eine andere Differenzierung
Es geht um ein junges, sportliches Image, um Nähe zu den Gästen. Philipp Vassalli, CEO der Lenzerheider Tourismusorganisation, sagt: «Wir sind überzeugt, dass die Gäste das schätzen. Die Gäste kommen zu uns, weil sie hier in einer unkomplizierten Atmosphäre eine gute Zeit haben. Das Du passt in die Erwartungen und die Kultur der Gäste.»
Das Du passt in die Erwartungen und die Kultur der Gäste.
Rund 90 Prozent der Touristen in der Lenzerheide kommen aus der Schweiz, der Rest überwiegend aus Europa. Dort sei das Duzen unter Fremden kaum verbreitet, sagt Noah Bubenhofer, Sprachwissenschafter der Universität Zürich. «Im Japanischen oder Koreanischen differenziert man mit mehr als zwei Formen, um sich sozial zu positionieren.»
Im Englischen denke man sofort, das sei einfach. Obwohl es nur das Pronomen «you» gebe, müsse man differenzieren, so Bubenhofer weiter: «Wenn ich jemanden mit ‹Sir› anspreche, verwende ich zwar ‹you›, drücke damit aber eine grössere Distanz aus.»
Nur fünf Prozent sollen Du-Kultur ablehnen
Der Sprachwissenschafter sieht das Duzen zumindest diskutabel, auch weil gerade bei Geschlechtern eine ähnliche Debatte polarisiert: «Dort ist die Idee, dass die angesprochenen Personen anzeigen, wie sie angesprochen werden möchten. In diesem Fall ist es gerade umgekehrt, weil die Organisation entscheidet», sagt Bubenhofer.
Wenn jemand das Du ablehne, werde das selbstverständlich akzeptiert, sagt Tourismusdirektor Philipp Vassalli. Das passiere aber nur in fünf Prozent der Fälle. «Wenn wir es vom Stil und der Tonalität her partnerschaftlich überbringen, kann es auch ins Positive wechseln», sagt Vassalli. In der Lenzerheide will man am konsequenten Duzen festhalten. Am Schalter, im Shop, am Telefon oder in E-Mails.
In gehobeneren Hotels unpassend?
Nicht alle Betriebe machen bei der Du-Kultur mit. Das sind zum Beispiel Hotels in einem eher höheren Segment, wie das Hotel Lenzerhorn. Direktor Elias Leu sagt: «Das Thema ist konzept- und generationsabhängig.» Er finde es in einem Vier-Sterne-Hotel unpassend. «Das hat nichts mit Wertschätzung zu tun, im Gegenteil. Das gehört zur Etikette.»
Vorgeschrieben wird es nicht, mittlerweile aber empfohlen. Und die Rechnung für die Lenzerheide scheint aufzugehen: Letzten Winter verzeichneten zum Beispiel die dortigen Bergbahnen einen Besucherrekord.