Im 20. Jahrhundert wurden in der Schweiz mindestens 60'000 Personen mittels einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme in Anstalten, Heimen oder auf Bauernhöfen untergebracht. Kinder und Erwachsene wurden von den Behörden in Armenhäuser gesteckt oder auf Bauernhöfe geschickt, wo sie hart arbeiten mussten – und oft körperlicher und physischer Gewalt ausgesetzt waren.
Verschiedene Kantone haben diese dunklen Kapitel aufgearbeitet, auch Nidwalden. Der Zentralschweizer Kanton kannte bis ins Jahr 1980 sogenannte Armengemeinden, welche eigene Armenhäuser betrieben. Wer arm war oder nicht den gängigen Normen entsprach, wurde vielfach in seinen grundlegenden Rechten verletzt. Wie, kann nun im Buch «Gegen das Vergessen» nachgelesen werden.
240 Seiten dick ist das Werk; zahlreiche Bilder geben Einblick in die damalige Realität. Insbesondere wer aus der sozialen Unterschicht stammte oder nicht den gesellschaftlichen Normalvorstellungen entsprach, wurde in Armen- und Waisenhäuser gesteckt oder in Arbeitsanstalten «versorgt».
Während im Nachbarkanton Luzern viele Kinder und Jugendliche als Verdingkinder auf Bauernhöfen arbeiten mussten, spielte diese fürsorgerische Zwangsmassnahme in Nidwalden keine so zentrale Rolle.
Verdingkinder wurden vor allem auf grosse Bauernbetriebe gebracht.
«Die Höfe im Kanton Nidwalden sind verhältnismässig klein», erzählt Sonja Matter. Die Historikerin der Universität Bern ist zusammen mit ihrer Berufskollegin Tanja Rietmann Autorin des Buches. «Verdingkinder wurden vor allem auf grossen Bauernbetrieben gebraucht. Darum spielt diese Art der fürsorgerischen Zwangsmassnahme etwa im Nachbarkanton Luzern eine grössere Rolle als in Nidwalden.»
Der Kanton Nidwalden hatte sechs Armenhäuser in verschiedenen Gemeinden. Es waren relativ kleine Häuser, die sich oft selbst versorgten. Kinder mussten viel und lange arbeiten.
Da diese Häuser von Glaubensschwestern betrieben wurden, die zu einem niedrigen Preis arbeiteten, war das eine günstige Lösung für Nidwalden.
«Es herrschte eine ziemliche Willkür rund um die Anordnung von Zwangsmassnahmen», sagt Sonja Matter. Oft sei nicht klar gewesen, auf welcher rechtlichen Grundlage Entscheide getroffen wurden. «Die Behörden entschieden oft mit dem Grundsatz, dass sie schon wüssten, was gut und richtig sei für die Betroffenen.»