Wenn in einer reformierten Kirche die Hochzeitsglocken läuten, dann stehen auch heute noch praktisch immer eine Frau und ein Mann vor dem Traualtar. Möglich wäre aber auch die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Die Nachfrage danach ist aber bescheiden.
Zu beobachten ist das im Aargau mit der viertgrössten reformierten Landeskirche der Schweiz. Dort hat sich vom 1. Juli 2022 bis Ende Jahr nur gerade ein einziges gleichgeschlechtliches Paar trauen lassen. Dies zeigt die Jahresstatistik, welche die Landeskirche veröffentlicht hat.
Für Claudia Daniel-Siebenmann, Leiterin Kommunikation bei der Reformierten Landeskirche Aargau, ist das keine Überraschung. Schliesslich sei eine kirchliche Hochzeit erst seit letztem Sommer möglich. «Wir haben nicht erwartet, dass wir sofort überrannt werden. Zumal eine Trauung eine gewisse Vorlaufzeit zur Planung benötigt».
Eine Statistik für die ganze Schweiz gibt es nicht und wird es auch nicht geben. Denn beispielsweise in St. Gallen und Baselland werden homosexuelle Paare in der Kirchenstatistik nicht separat geführt. In reformierten Kirchen im Thurgau gab es noch keine Hochzeit eines schwulen oder lesbischen Paars. Und in Zürich, der zweitgrössten reformierten Landeskirche, gibt es noch keine kantonale Übersicht über die Eheschliessungen 2022.
Dass Homosexuelle den Kirchen nicht die Türe einrennen, überrascht Roman Heggli, Geschäftsführer bei der Schwulenorganisation Pink Cross, nicht. «Die Kirche tat sich lange schwer beim Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren. Da muss erst ein Vertrauen zur Kirche aufgebaut werden.»
Die Community habe durchaus wahrgenommen, dass sich die reformierte Kirche bei der Volksabstimmung zur «Ehe für alle» hinter das Anliegen gestellt habe. Aber: «In den Köpfen braucht es Zeit.»
Hitzige Diskussion unnötig?
Dass sich schwule und lesbische Paare in reformierten Kirchen überhaupt trauen lassen dürfen, ist umstritten. Es gab hitzige Diskussionen zwischen konservativeren und liberaleren Kreisen innerhalb der Kirche. Angesichts der Tatsache, dass sich im Aargau in den ersten sechs Monaten nur ein gleichgeschlechtliches Paar trauen liess, stellt sich die Frage, ob sich diese kircheninternen Reibereien überhaupt lohnten.
«Natürlich ist die Diskussion sinnvoll», meint Claudia Daniel-Siebenmann von der Reformierten Landeskirche Aargau. «Alleine die Frage, wie man mit den verschiedenen Strömungen in der Landeskirche umgeht, war die Diskussion wert.» Es gehe auch darum zu schauen, wie man diese Strömungen einbinden kann. Und: «Wie wird man den Strömungen gerecht?»
Die Landeskirchen machten auch Zugeständnisse an Kritiker. So muss kein Pfarrer oder keine Pfarrerin ein Ehepaar trauen, wenn er oder sie das nicht möchte. «Die Pfarrpersonen müssen nichts tun, was ihrem Glauben widerspricht», betont Claudia Daniel-Siebenmann von der Reformierten Landeskirche Aargau.
Allerdings wird auch niemand abgewiesen. Will ein Pfarrer ein Paar nicht trauen, dann muss er eine Stellvertreterin suchen. Eine Regelung, die übrigens auch bei heterosexuellen Paare gilt.
Auch wenn es noch nicht viele kirchliche Trauungen von schwulen oder lesbischen Paaren gab, stehen den gleichgeschlechtlichen Paaren die Türen der reformierten Kirchen offen. Anders ist es bei der katholischen oder auch den meisten Freikirchen. Diese lehnen die Trauung homosexueller Menschen nach wie vor ab.