Deutschland diskutiert zurzeit über eine allgemeine Dienstpflicht. Dabei würden Frau und Mann zu einem Jahr Dienst am Staat verpflichtet. Ein Jahr für das Gemeinwesen sozusagen.
Diese Idee hat auch in der Schweiz ihre Anhänger. Hier heisst sie «allgemeiner Bürgerdienst». Ins Spiel gebracht hat diesen der liberale Think Tank Avenir Suisse. Im Gespräch erläutert Fabian Schnell Sinn und Zweck der Idee.
SRF News: Wie würde eine allgemeine Bürgerpflicht aussehen?
Fabian Schnell: Der «allgemeine Bürgerdienst» wäre eine Ausdehnung der bestehenden Wehrpflicht auf Männer und Frauen. Dazu würden auch niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer gehören. Der Dienst könnte als Militär- oder Zivilschutzdienst geleistet werden, aber auch als soziale Tätigkeit, als Feuerwehrdienst oder – ganz wichtig – als Tätigkeit als Milizpolitiker. Der Dienst könnte irgendwann zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr geleistet werden, und könnte – etwa bei einem Einsatz als Milizpolitiker – durchaus auch länger als ein Jahr dauern.
Die heutige Gesellschaft ist optimiert, auch was die Karriereplanung angeht. Ist es da im Einzelfall nicht schädlich, für ein oder zwei Jahre weg vom Beruf zu sein?
Im Gegensatz zur ähnlichen Idee in Deutschland könnte der Bürgerdienst in der Schweiz während einer relativ langen Zeitspanne erfüllt werden. Man hätte also die Wahl: Beispielsweise als junger Mensch den Wehrdienst am Stück leisten und die Pflicht innert einer relativ kurzen Zeit erfüllt haben. Oder man könnte den Bürgerdienst in kleineren Tranchen über viele Jahre erfüllen – oder wiederum am Stück später im Leben – beispielsweise, wenn die Kinder erwachsen sind.
Gerade in der Schweiz mit dem Milizsystem ist ein Dienst an der Allgemeinheit besonders wichtig.
Ist es heute noch zeitgemäss, dass uns der Staat für eine bestimmte Lebenszeit vorschreibt, was wir zu tun haben?
Es ist sehr zeitgemäss. Denn neben Bürgerrechten gibt es auch Bürgerpflichten – im Steuerbereich etwa akzeptieren wir das als selbstverständlich. Gerade in der Schweiz mit ihrem Milizsystem ist ein Engagement für die Allgemeinheit aus unserer Sicht besonders wichtig – und es wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. So könnte die allgemeine Bürgerpflicht wegen der zunehmenden Alterung der Gesellschaft und für den Zusammenhalt der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen.
Avenir Suisse ist ein liberaler Think Thank – müsste Ihnen eine solche Pflicht nicht gegen den Strich gehen?
Die Bürgerpflichten sind nicht zu vernachlässigen. Und wenn das Milizprinzip in der Schweiz überlebt, hält das den Staat klein und es ermöglicht, die Kleinteiligkeit der Schweiz zu erhalten. Aus dieser Perspektive korrespondiert der Dienst durchaus mit dem liberalen Prinzip.
Wo holen Sie die politische Unterstützung für ihre Idee?
Zuspruch kommt aus praktisch allen Parteien, am stärksten ist er von der Grünliberalen Partei. Sie hat einen entsprechenden Vorstoss im Parlament lanciert, der aber keine Mehrheit erreichte. Doch die Zeit und der zunehmende Druck aufs Milizsystem könnten durchaus dazu führen, dass die Eidgenössischen Räte nochmals über die Bücher gehen.
Die Armee könnte für Bürgerdienst-Pflichtige besonders attraktiv werden.
Der Bundesrat geht im Grunde in eine andere Richtung: Er will den Zivildienst unattraktiver machen. Warum sollte die Landesregierung da ihre Idee unterstützen?
Der «allgemeine Bürgerdienst» könnte die Lösung des gordischen Knotens bedeuten: Denn so wäre die ständige Diskussion über Militär- oder Zivildienst auf einmal obsolet – es wäre ja jeder und jede dienstpflichtig. Dadurch hätte auch die Armee Zugriff auf einen viel grösseren Pool an potenziellen Dienstleistenden. Gerade die Armee könnte in dieser neuen Situation für Bürgerdienst-Pflichtige besonders attraktiv werden.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.