In der aktuellen Wintersession hat sie soeben an ihren Nachfolger übergeben: Iréne Kälin hat das Amt der höchsten Schweizerin abgegeben, Nationalratspräsident ist neu Martin Candinas (Mitte, GR). Zeit, um mit Irène Kälin auf ihr Jahr als Nationalratspräsidentin zurückzublicken.
Die 35-Jährige wollte viel für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreichen, musste dann aber wegen der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und de Energiekrise andere Themen in den Fokus rücken. Was bleibt nach diesem speziellen Amtsjahr und was hat sie im Wahljahr vor?
SRF News: Sie waren ein Jahr lang als Nationalratspräsidentin neutral. Freuen Sie sich wieder auf die Parteipolitik?
Ja, das hat mir etwas gefehlt. Es sind drei Jahre, in der man sich zuerst von der Parteipolitik etwas entfernt, nämlich schon als Vizepräsidentin. Es war mir wichtig, so neutral wie möglich zu sein.
Man ist für alle Schweizerinnen und Schweizer die oberste Schweizerin.
Man ist für alle Schweizerinnen und Schweizer die oberste Schweizerin. Nun kann ich mich aber in der Debatte wieder politisch messen, darauf freue ich mich.
In Ihrer Antrittsrede sprachen Sie über Vereinbarkeit von Politik, Familie und Beruf, und über die Vereinbarkeit von verschiedenen Meinungen. Dann kam Corona, der Ukrainekrieg, die Energiekrise. Konnten Sie in ihrem Jahr einen Beitrag zu ihren Themen leisten?
Ja und Nein. Es gab Momente, zum Beispiel beim Ausbruch des Ukrainekrieges, wo ich eine grosse Solidarität im Land, aber auch im Parlament spürte. Es war berührend, wie sich Mitglieder des Parlamentes gefragt haben, was sie selber tun können.
Nach harten Kämpfen muss man einen Kompromiss finden können.
Es geht am Schluss darum, beim harten Kämpfen einen Kompromiss zu finden, der für möglichst viele stimmt. Das ist uns nicht immer gelungen. Es bleibt eine wichtige Aufgabe.
Man kämpft mit Worten. Sie sind in ein Land gereist, wo mit Waffen gekämpft wird. Nämlich in die Ukraine, die von Russland angegriffen wurde. Hat Sie der Besuch verändert?
Selbstverständlich. Der Krieg hat uns in Erinnerung gerufen, wie unglaublich wichtig die Demokratie ist, und auch, wie fragil sie ist. Die Sicherheitsarchitektur in Europa, auf die wir alle vertraut haben, hat in diesem Fall versagt. Und man schätzt es noch mehr, dass man in einem demokratischen, friedlichen, sicheren Land wie der Schweiz politisieren darf.
In Ihrer Abschiedsrede sagten Sie, dass wir unsere Demokratie täglich verteidigen müssten. Wie meinen Sie das?
Ich hätte nie gedacht, dass auf dem europäischen Kontinent wieder Krieg ausbricht, dass die ganze Friedenspolitik infrage gestellt wird.
Ich hätte nie gedacht, dass auf dem europäischen Kontinent wieder Krieg ausbricht.
Darum ist es ein kritischer Moment für die Demokratie. Die Sicherheiten und Freiheiten, die damit einhergehen, sind nicht selbst gegeben.
2023 werden National- und Ständerat neu gewählt. Sie wollten während Ihres Präsidialjahres nicht sagen, ob Sie als Aargauer Ständerätin kandidieren möchten. Können Sie das jetzt kommentieren?
Meine Partei wird im Januar entscheiden, ob sie antritt und eine Kandidatin ins Rennen für den Ständerat schickt. Mich würde das sehr «gluschte» in der kleinen Kammer zu politisieren. Den Aargau würde ich sehr gerne vertreten. Aber die Ausgangslage ist äusserst schwierig, wenn alle Parteien im ersten Wahlgang antreten, braucht es einen zweiten. Und wenn man sich hier nicht gut abspricht, muss man sich den ersten Wahlgang nicht antun.
Das Gespräch führte Stefan Ulrich.