Die Stadtbehörden von Sursee haben es kommen sehen: Die Totalrevision der Ortsplanung, das wird ein Strassenfeger – also für Gemeindeversammlungs-Verhältnisse. Sie haben diesmal in die Stadthalle eingeladen statt wie sonst in einen viel kleineren Saal. Bis zu 1000 Stimmberechtigte werden erwartet, obwohl sonst kaum 100 kommen.
Stundenlange politische Knochenarbeit
Die Übungsanlage verheisst allerdings politische Knochenarbeit: auf zwei Abende ist die Gemeindeversammlung angesetzt. Es geht um die Entwicklung der 10’000-Einwohner-Stadt im Kanton Luzern mit der schmucken Altstadt und den vielen Beizen.
Mit dieser Gemeindeversammlung kommen wir schon an eine Grenze.
Zwei Abende à sechs Stunden, bis um ein Uhr morgens für Zonenplan und Baureglement. «Wir kommen da ganz klar an eine Grenze der Gemeindeversammlung», räumt der Surseer Stadtpräsident Beat Leu (CVP) ein. Aber eine andere Möglichkeit, als den Anlass so zu organisieren, habe es nicht gegeben.
Acht Prozent Stimmbeteiligung
Es kommen schliesslich nicht 1000 Stimmberechtigte. 583 ist die höchste Zahl, die an den beiden Abenden registriert wird. Das ist vergleichsweise sehr viel, und doch sehr wenig, ergibt es doch nur eine Stimmbeteiligung von acht Prozent.
Das ist denn auch einer der Hauptkritikpunkte an der Institution Gemeindeversammlung: die tiefe Beteiligung.
Grosse Schwankungen bei Beteiligung
Eine Befragung der Gemeindeschreiber ergab vor drei Jahren eine durchschnittliche Präsenz an Gemeindeversammlungen von knapp unter zehn Prozent.
Eine neue Studie des Zentrums für Demokratie in Aarau wertete alle Gemeindeversammlungen im Kanton Aargau der letzten vier Jahre aus -immerhin 1600 Versammlungen. Die Studie kommt auf eine durchschnittliche Beteiligung von knapp neun Prozent, wobei die Schwankungen sehr gross sind – je nach Thema und Gemeinde – zwischen nicht mal einem bis zu fast 45 Prozent.
Das System Gemeindeversammlung funktioniert, weil man in den meisten Fällen zu einem breit getragenen Beschluss kommt.
Philippe Rochat, Politologe am Zentrum für Demokratie und Autor der Studie, warnt davor, nur auf die zahlenmässige Teilnahme zu fokussieren. «Entscheidend ist, wie die Versammlung zusammengesetzt ist.»
Solange möglichst alle die freie Entscheidung hätten, an die Versammlung zu kommen oder nicht und keine relevante Gruppe systematisch ausgeschlossen sei und immer fernbleibe, sei auch ein kleiner Prozentsatz des Stimmvolks repräsentativ genug. Auch so könnten breit akzeptierte Entscheidungen getroffen werden.
Und das sei auch meistens der Fall, argumentiert der Politologe Rochat. Er schliesst das daraus, dass fast nie nachträglich das Referendum ergriffen wird gegen einen Gemeindeversammlungsbeschluss – auch wenn dies möglich wäre.
Monsterversammlung mit Happy End
Auch in Sursee ist nach mehr als zwölf Stunden Debatte die neue Ortsplanung unter Dach und Fach. Zwar ziemlich anders, als die Stadtregierung vorgeschlagen hat, aber die Versammlung stimmt in der Schlussabstimmung fast einstimmig dafür.
Keine Chance hat der Antrag, über die Ortsplanung doch noch an der Urne abstimmen zu lassen. Dafür ist die mittlere Zufriedenheit nach dem stundenlangen gemeinsamen Seilziehen und Feilschen eben doch zu gross.