Der Gibidum-Stausee in der Aletschregion im Wallis wird vom Schmelzwasser des Grossen Aletschgletschers gespiesen. Hier werden jährlich rund 600 Gigawattstunden Strom produziert. Diesen Sommer war es derart viel Schmelzwasser, dass ein grosser Teil davon ungenutzt über die Schleusen des Stausees den Bach ablief. Es bräuchte dringend mehr Speicher in der Region, sagen die Kraftwerksbetreiber von Electra-Massa.
Siebenhundert Meter weiter oben schmilzt der Oberaletschgletscher in der Sommersonne still vor sich hin. Hier wird in den nächsten Jahren ein neuer See entstehen. Diesen See möchte Electra-Massa anzapfen.
Das können wir alles unterirdisch bauen. So haben wir praktisch keinen Eingriff in Umwelt und Landschaft.
Hundert Millionen Franken will man dafür investieren und so zusätzliche 100 Gigawattstunden Strom produzieren. Es müsste dafür nicht einmal eine Staumauer gebaut werden, da der See von einem natürlichen Felsriegel gestaut wird.
«Wir benötigen ein Stollensystem und eine Kraftwerkszentrale und das können wir alles unterirdisch bauen. So haben wir praktisch keinen Eingriff in Umwelt und Landschaft», sagt Beat Imboden, Geschäftsführer der Electra-Massa.
500 neue Gletscherseen
Bis zu 500 neue Gletscherseen werden in den kommenden Jahrzehnten in den Schweizer Alpen entstehen. In einer ETH-Studie aus dem Jahre 2019 wurden über 60 Standorte mit Potenzial zur Energiegewinnung identifiziert. Für sechs davon wurde eine vertiefte Machbarkeitsstudie durchgeführt: Am Aleschgletscher, Gornergletscher, Unterer Grindelwaldgletscher, Hüfigletscher, Rhonegletscher und Roseggletscher könnten künftig rund 1000 Gigawattstunden Strom produziert werden.
Doch Umweltschützer sind kritisch, was den Bau neuer Kraftwerke anbelangt.
Man kann nicht einfach überall in unseren Alpentälern gigantische Seen aufstauen und dann denken, das Problem sei gelöst.
«Man kann nicht einfach überall in unseren Alpentälern gigantische Seen aufstauen und dann denken, das Problem sei gelöst. Das Wasser muss dann auf lange Zeit auch vorhanden sein. Mit dem Abschmelzen der Gletscher entstehen zwar Seen, aber mit der Zeit werden diese nicht weiter alimentiert und das wird ein Problem sein in vielen Gebieten. Das ist dann eigentlich eine falsche technische Antwort auf die Situation. Deshalb: Wasser nutzen ja, aber nicht in Form von grossen Speicherseen mit Staumauer», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz.
Mitten im Schutzgebiet
Unterstützung von Seiten Rodewald findet indes das Projekt am Oberaletschgletscher. Und das, obwohl die Aletsch-Region zum Unesco-Weltnaturerbe gehört und mitten im Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung liegt. Doch es zeige auf, so der Landschaftsschützer, wie man ein Wasserkraftprojekt auf intelligente Art und Weise bauen könne, ganz ohne Staumauer und oberirdische Anlagen.
Eine kurzfristige Lösung für die Stromproblematik werden freilich auch die neuen Gletscher-Seen nicht bieten können. Die grössten Projekte sind stark umstritten, da sie neue Staumauern in Schutzgebieten vorsehen und auch jene Projekte, die sich relativ schnell umsetzen liessen, werden nicht von heute auf morgen ans Netz gehen. Am Oberaletschgletscher etwa rechnen die Kraftwerksbetreiber mit einer Inbetriebnahme auf frühstens 2030.