Mindestens sieben Menschen kamen beim Gletschersturz auf der Marmolata in Norditalien ums Leben. 13 weitere werden noch vermisst, doch laut der Bergrettung gibt es praktisch keine Chance mehr, noch Überlebende unter den Eis- und Geröllmassen zu finden.
Das Drama ereignete sich am Sonntag am höchsten Berg der Dolomiten und ist kein Einzelfall. Bereits Ende Mai wurden am Grand Combin im Wallis bei einem Eissturz zwei Menschen getötet und neun verletzt. Ein unglücklicher Zufall oder eine Folge des Klimawandels?
Für Matthias Huss, Glaziologe an der ETH Zürich, kam der Gletschersturz in Norditalien überraschend. «Der Gletscher an der Marmolata ist nur noch ein Eisrest und war nicht als Gefahrengebiet bekannt. Das Ereignis zeigt aber, dass wir in Zukunft auch dort Eisstürze erwarten müssen, wo dies nicht offensichtlich ist.»
Auch in der Schweiz gibt es Gletscher in einer ähnlichen Situation wie an der Marmolata. Grundsätzlich seien Gletscherbrüche nach wie vor selten, betont Huss. Aber: «Mit der Klimaerwärmung und verstärktem Gletscherrückgang aufgrund Auftauen des Permafrosts ist es denkbar, dass sich Eis- und Felsstürze nun häufen.»
Auf dem Weg zum Schmelz-Rekordjahr
Die Schweizer Gletscher sind diesen Juni in so schlechtem Zustand wie noch nie seit Messbeginn. Begünstigt wurde dies durch drei Faktoren: Erstens fiel im Winter nur sehr wenig Schnee, der den Gletschern als Schutzschicht vor der Sonne dienen könnte. Zweitens beschleunigte der Saharastaub im März die Schmelze, da er die Rückstrahlfähigkeit des Schnees reduziert hat, und drittens belastet die frühe und intensive Hitze die weissen Riesen.
Laut Glaziologe Matthias Huss ist es gut möglich, dass die Schweizer Gletscher in diesem Jahr so stark schmelzen wie zuletzt im Rekordjahr 2003. Abhängig ist das von den Temperaturen in den kommenden drei Monaten und davon, wie viel Schnee schon im September auf die Gletscher fällt. «Momentan sehen unsere Gletscher so aus, wie sie normalerweise erst im August oder September aussehen.»
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Bild 1 von 2. Der folgenschwere Gletschersturz in den Dolomiten mit mehreren Todesopfern ist wahrscheinlich auf die hohen Temperaturen zurückzuführen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 2. Er ist kein Einzelfall: Am Grand Combin im Wallis sind Ende Mai bei einem Eissturz zwei Menschen ums Leben gekommen. Bildquelle: Keystone.
Neben Huss führen auch internationale Experten sowie das italienische Forschungsinstitut CNR den Gletschersturz an der Marmolata auf die hohen Temperaturen zurück. Auf dem 3340 Meter hohen Gipfel war kurz nach dem Unglück der Rekordwert von rund 10 Grad gemessen worden, während die Durchschnittstemperatur normalerweise bei 7 Grad liegt. Extrembergsteiger Reinhold Messner verweist ebenfalls auf den Klimawandel als Ursache und betont gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: «Vorfälle wie an der Marmolata werden wir häufiger sehen. Heute gibt es viel mehr Fels- und Eisabbrüche als früher.»
In der Schweiz werden einige der 1400 Gletscher von den Behörden überwacht. So brachen vergangene Woche am Triftgletscher unter dem Weissmies im Wallis mehrere 10'000 Kubikmeter Eis ab – dank Überwachung war man vorbereitet. Auch Felsstürze könnten wegen des Klimawandels in Zukunft zunehmen – denn durch den tauenden Permafrost nimmt die Stabilität des Gebirges ab.
Gletscherbrüche lassen sich kaum verhindern. Dennoch sei die Überwachung nicht umsonst, erklärt der Glaziologe: «Wird ein Gletscher überwacht, sind solche Stürze möglicherweise auf den Tag genau voraussagbar. Und ist die Gefahr bekannt, können Massnahmen ergriffen werden, wie die Sperrung von Wegen, Evakuationen der Bevölkerung oder die Erstellung von Dämmen.»