Darauf warten alle: Auf das Rechtsgutachten*, das Klarheit schafft in der Frage, ob Epidemie- und Reiseversicherungen in der Pflicht stehen oder nicht. Kurz: Ob die aktuelle Pandemie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen AVB abgedeckt oder ausgeschlossen wird. Das Gutachten ist da – und liegt «Kassensturz» vor.
Nach meiner Einschätzung liegt […] kein Ausschluss vor.
Klares Rechtsgutachten
Gutachter Professor Walter Fellmann von der Universität Luzern schlägt klare Töne an: «Nach meiner Einschätzung liegt […] kein Ausschluss vor, der bei grundsätzlicher Deckung von Epidemien Pandemien in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliessen würde. Nach Art. 33 VVG ist der Ausschluss daher nicht gültig.»
Damit ist klar: Geht es nach dem Gutachten, das Martin Lorenzon, Ombudsman der Privatversicherung und Suva, in Auftrag gegeben hat, können Versicherungen sich nicht hinter dem Begriff Pandemie verstecken. Und das wiederum bedeutet: Versicherungen müssen die versicherten Leistungen erbringen.
Versicherungen lehnen die Deckung ab
«Kassensturz» haben in den letzten Wochen immer wieder Nachrichten von verzweifelten Wirten erreicht, die ums Überleben kämpfen. Eigentlich haben sie vorgesorgt: Sie haben Epidemieversicherungen abgeschlossen, die im Falle einer Betriebsschliessung finanziell in die Bresche springen. «Ich habe meine Versicherungspolice hervorgeholt und festgestellt: Wir sind ganz gut versichert!», sagt Roland Staudenmann vom Restaurant «Casa Marcello» in Bern. Ausgeschlossen seien nur Influenza und Geschlechtskrankheiten aller Art.
Seine Versicherung, die TSM, lehnt die Deckung dennoch ab. Begründung: Eine Pandemie sei keine Epidemie. Und später schiebt die TSM nach, die Schliessung des Restaurants habe nichts mit der Coronapandemie zu tun. Die Massnahmen des Bundesrates seien schuld.
Eine Pandemie erfüllt alle Merkmale einer Epidemie auch.
Eine Pandemie ist eine Epidemie
Stephan Fuhrer, Professor für Privatversicherungsrecht der Universität Basel, findet diese Argumentation unhaltbar. Ebenso die Unterscheidung zwischen Epidemie und Pandemie. «Eine Pandemie erfüllt alle Merkmale einer Epidemie auch», sagt er. Der unabhängige Gutachter Fellmann kommt zum selben Schluss. Er erklärt in seinem über 40-seitigen Gutachten, dass eine Pandemie und eine Epidemie sich «bloss durch ihren Umfang» unterscheiden.
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Das Gesetz schützt den Konsumenten
«Bei uns verweist die Axa auf die WHO-Pandemiestufen 5 oder 6. Gelten diese, sei das ein Ausschluss», sagt Gastronomin Derya Kilic. Ihr Vater und ihr Onkel besitzen gemeinsam die Pizzeria Bahnhof in Lotzwil (BE). Auch sie dachten, dass sie mit ihrer Epidemieversicherung gut abgedeckt seien. Auch sie mussten feststellen, dass ihre Versicherung nicht zahlt. «Da bröckelt das Vertrauen», sagt Derya Kilic.
Die Meinungen beider Experten sind auch in diesem Fall praktisch identisch: Die Klausel mit den Pandemiestufen sei überraschend. «Das Gesetz schützt den Konsumenten vor überraschenden Klauseln», sagt Stephan Fuhrer. «Wenn ich eine Epidemieversicherung kaufe, muss ich nicht damit rechnen, dass bei einer ganz schlimmen Epidemie keine Leistung erhalte.»
*Das Gutachten von Walter Fellmann, Professor für Privatrecht an der Universität Luzern, bildet die Grundlage des Berichts von Martin Lorenzon, Ombudsman der Privatversicherung und Suva. Dieser verfasst einen unabhängigen Bericht, nach Anhörung verschiedener Parteien. Der Bericht sollte in den nächsten Tagen erscheinen.