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Martin Ackermann: «Wir müssen alle zwei Wochen ein Etappenziel erreichen»
Aus News-Clip vom 12.11.2020.
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Epidemiologe Marcel Tanner Taskforce: «Die Tour pour la Suisse gibt den Menschen ein Ziel»

Eine «Tour pour la Suisse» statt einer Tour de Suisse: Die Covid-Taskforce des Bundes will die Schweizerinnen und Schweizer mit neuen Etappenzielen herausfordern. Das Ziel der Tour im Kampf gegen das Coronavirus: Alle zwei Wochen sollen sich die Fälle halbieren. Am 9. Dezember soll die Schweiz so unter 2000 Fälle kommen – am Ende, im Januar, lägen wir unter 500 Fällen.

Wie aber schafft es die Bevölkerung, das Rennen auch durchzuhalten? SRF hat bei Epidemiologe Marcel Tanner von der Science-Taskforce des Bundes nachgefragt.

Marcel Tanner

Epidemiologe und ehemaliges Mitglied der Covid-19-Taskforce

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Marcel Tanner ist Präsident der Akademien der Wissenschaft, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen, emeritierter Epidemiologie-Professor und war bis Januar 2021 Mitglied der vom Bundesrat eingesetzten Covid-19-Taskforce.

SRF: Um bei der Sport-Metapher zu bleiben: Viele Hobbysportler setzen sich unrealistische Ziele und sind dann froh, wenn auch nur schon die Hälfte geschafft ist. Hat die Taskforce dies einberechnet – oder sind die gesetzten Etappenziele ein Muss?

Marcel Tanner: Das ist die Vorgabe. Sonst geht die Rechnung nicht auf und wir bleiben unter Druck, insbesondere mit dem Gesundheitssystem. Aber die «Tour pour la Suisse» soll einen Ausblick ermöglichen. Man kann den Menschen nicht erklären, dass sie einfach «noch mehr» machen müssen, oder es «anders» machen müssen.

Die «Tour pour la Suisse» soll einen Ausblick ermöglichen.
Autor: Marcel TannerEpidemiologe

Mit diesen wissenschaftlich fundierten Etappenzielen will die Taskforce der Bevölkerung ein realistisches Ziel vor Augen halten, auf das man gemeinsam hinarbeiten kann und das überprüfbar ist.

Scheitert die «Tour pour la Suisse», wenn die Zahlen stagnieren oder wieder steigen – und muss es dann wieder Verschärfungen geben?

Natürlich müsste man dies in Betracht ziehen, sollten die Zahlen tatsächlich lange stagnieren oder sich die Lage erneut verschlechtern. Man hält dabei aber nicht den drohenden Finger hoch, sondern will mit diesen Etappenzielen einen Rahmen schaffen, in dem wir die Zahlen senken können und dennoch ein gewisses soziales und wirtschaftliches Leben haben. Natürlich würden sich die Zahlen schneller senken lassen, wenn man einfach alles schliesst. Der Kurs, den wir jetzt gewählt haben, ist der schwierigere. Aber der Bund möchte diese Etappenziele erreichen, ohne einen erneuten Stillstand für die Schweizerinnen und Schweizer zu riskieren.

Wie müssen sich die Leute verhalten, dass wir die «Tour pour la Suisse» erfolgreich absolvieren?

Die Leute sollen jetzt keine halbherzigen Sachen machen. Gegen Leitplanken an der Strasse hat auch niemand was. Aber diese Leitplanken – in unserem Pandemie-Fall die Massnahmen – sollten nun gelten.

Die Etappenziele sind möglich, wenn wir die Massnahmen beherzt umsetzen.
Autor: Marcel TannerEpidemiologe

Die Bevölkerung möge einfach diesen Leitplanken folgen. Die Etappenziele sind möglich, wenn wir die Massnahmen beherzt und konsequent umsetzen und die Grundmassnahmen wie Hygiene einhalten und Distanz einhalten. Dies ist auch für den Winter besonders wichtig, da sich das Leben in die Innenräume verlagert. Die Leute sollen ihre Kontakte einschränken und Homeoffice machen, wo es immer möglich ist.

Vorausgesetzt wir schaffen die Etappenziele bis zu den Festtagen. Wir wären dann bei Etappe 3 – unter 1000 Fällen. Wie könnten wir Weihnachten feiern?

Wir können auf alle Fälle Weihnachten feiern, aber dabei müssen wir vielleicht dieses Jahr etwas neue Ansätze finden. Diese können ja auch spannend und einmalig sein. Warum nicht mal eine Waldweihnacht oder im Park oder Garten feiern?

Warum nicht mal eine Waldweihnacht, im Park oder im Garten feiern?
Autor: Marcel TannerEpidemiologe

Aber wir werden uns auch überlegen müssen, auf welche Kontakte man sich beschränken will und sich auf den Kern konzentrieren. Die ganze Weihnachtswoche jeweils abends mit zehn verschiedenen Personen aus verschiedenen Gruppen zu feiern, ist sicher nicht vernünftig.

Der R-Wert müsste für eine erfolgreiche Tour unter 0.8 oder 0.7 bleiben, damit es funktioniert. Ist da die Dunkelziffer miteinbezogen – oder müsste er tatsächlich noch tiefer liegen?

Damit man auf der sicheren Seite ist, müsste er wegen der Dunkelziffer schon noch etwas tiefer liegen. Wenn wir schweizweit bei 0.8 liegen, sind wir sehr knapp.

Was ist der R-Wert?

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R steht für «Reproduktionszahl». Auf die aktuelle Pandemie bezogen bezeichnet R, wieviele Menschen eine infizierte Person mit dem neuen Coronavirus anstecken kann. Dabei ist R ein Durchschnittwert: Wenn zehn infizierte Personen weitere 15 anstecken, dann liegt der entsprechende R-Wert bei 1.5. Dabei haben einige Personen aber mehr als eine Person angesteckt, andere hingegen niemanden.

Im Sommer lagen wir ja bei 0.7. Dabei muss auch beachtet werden, dass dieser Wert in der Schweiz trotz gleicher Tendenz nicht heterogen ist. Der ist von Region zu Region etwas unterschiedlich, darum ist es auch sinnvoll, dass einzelne Kantone – wie beispielsweise das Wallis – schon früher strengere Massnahmen verordnet haben, was nun sichtbar wird.

In der letzten Medienkonferenz wurde erwähnt, dass sich vier Indikatoren seit Oktober verdoppelt haben. Welche weiteren sind das, und müssten die sich auch halbieren, um die Ziele zu erreichen?

Das sind auch die Hospitalisierungen, respektive die Schwere der Hospitalisierungen, die sich auch an der Belegung der Intensivstationen misst, und die Todesfälle. Im Vordergrund bei dieser Halbierung stehen aber die Fallzahlen, denn diese wirken sich mit gewissen Verzögerungen auf die Hospitalisierungen und dann auch auf die Intensivbetten aus.

Vorausgesetzt wir hätten das Ziel im Januar erreicht – dann lägen wir unter 500 Fällen – durchatmen und die Massnahmen lockern?

Wenn wir das geschafft haben, können wir Durchatmen, ja. Durchatmen heisst aber nicht, dass wir sofort eine riesige Januarparty steigen lassen und alles wieder vergessen. Es gäbe sicherlich noch Grundmassnahmen, aber auch Möglichkeiten zu Lockerungen, aber – aus Erfahrungen lernend – nicht so breit und rasch wie im Sommer.

Das Gespräch führte Viviane Stadelmann.

Tagesschau, 12.11.2020, 19:30 Uhr ; 

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