- «Das alte System funktioniert nicht mehr», sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
- Am Mittwoch stellte die EU-Kommission ihre Pläne für eine Asylreform vor. Kernpunkt: Es soll keine Aufnahmequoten für Länder mehr geben.
- Neu setzt man auf Freiwilligkeit, schnellere Asylverfahren und – falls die Zahlen schnell und massiv ansteigen – auf einen Krisenmechanismus.
- Zudem sollen Länder wie Ungarn und Polen nur in absoluten Ausnahmefällen zur Aufnahme von Migranten verpflichtet werden.
Künftig sollen Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen, «Rückführungspatenschaften» übernehmen. Heisst: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.
Die Regelung solle für migrationskritische Staaten ein Anreiz sein, sich solidarisch zu verhalten, erklärt Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: «Und sie können damit beim Thema Migration Härte zeigen.»
Bossong erklärt den Kniff dabei: Schafft es etwa Ungarn nicht, einen Nigerianer ohne Bleiberecht in der EU innerhalb von acht Monaten zurückzuführen, muss Ungarn ihn «übernehmen». Kann damit der gordische Knoten in Europas Migrationspolitik gelöst werden? Der Migrationsexperte hat seine Zweifel: «Es gibt ein sehr grosses Fragezeichen, ob das funktionieren kann.»
Auf dem Papier würden sich beim Migrationspakt der EU zwar alle Staaten irgendwie wiederfinden, so Bossong. «Ob dieser komplizierte Kompromiss den Realitätstest bestehen kann, steht aber auf einem anderen Blatt.» Die Chance auf den grossen Durchbruch hält er für gering.
Mit dem Migrationspakt soll auch jenen Staaten geholfen werden, in denen die Migranten zuerst ankommen – insbesondere Italien und Griechenland. Sie sollen auch bei der Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht entlastet werden.
Die Regierung in Athen begrüsste die Vorschläge der EU-Kommission als «ersten Schritt in die richtige Richtung». Und kündigte an, sich in den künftigen Verhandlungen intensiv einbringen zu wollen. Für Athen ist aber klar: Zur europäischen Solidarität gehört auch die Umverteilung von Flüchtlingen auf andere EU-Länder.
Im Migrationshotspot Griechenland werde die Debatte aber vorab innenpolitisch geführt, so die Journalistin Corina Jessen in Athen: «In den landesweiten Medien wurde der Migrationspakt nur gestreift.»
Hellhörig wurde man dort, wo die Migranten anlanden - nämlich auf den griechischen Mittelmeerinseln: Denn künftig soll es dort permanente Lager für die Neuankömmlinge geben. Diese sollen von der EU aufgebaut und verwaltet werden.
Die Pläne für permanente Lager brächten Lokalpolitiker auf den Inseln, aber auch die konservative Regierung in Athen in Erklärungsnot, so Jessen. Denn ihr Wahlversprechen, die unhaltbaren Zustände auf den Inseln und den Zustrom von Flüchtlingen quasi auf Knopfdruck zu beenden, verpuffe weiter.
«Man hat sich in Griechenland lange als Transitland für Migranten verstanden», so Jessen. Jetzt könnten die Zustände weiter zementiert werden. Sehr zum Unmut der Bevölkerung auf den griechischen Inseln, die sich seit Jahren gegen befestigte und geordnete Lager wehrten, schliesst die Journalistin.