«Die Ostschweiz ist nicht zu wenig attraktiv, im Gegenteil. Sie ist vielleicht zu wenig bekannt», sagt Marcel Räpple, Leiter Wirtschaftsförderung beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau. Aus diesem Grund wird nun gemeinsam mit den Kantonen St. Gallen und den beiden Appenzell der «Sprungbrett»-Event organisiert.
100 Studierende aus allen Teilen der Schweiz haben sich am Montag mit Vertretern von 13 lokal ansässigen Unternehmen in St. Gallen getroffen. Das Ziel ist vor allem Networking. «Ich will wissen, was die Firmen suchen», sagt eine BWL-Studentin.
Beim Apéro am Abend – tagsüber haben Firmen-Besichtigungen und Workshops stattgefunden – tauscht man Erfahrungen aus. Eine Studentin kann ein besonders gutes Fazit ziehen: «Mir hat der Event vielleicht gerade eine konkrete Stelle gebracht.»
Für die Unternehmen geht es in erster Linie darum, sich zu präsentieren und Ausschau zu halten. «Wir sind immer auf der Suche nach frischen, jungen Kräften», sagt die Vertreterin einer Firma aus der Lebensmittel-Branche.
Schweizweiter Fachkräftemangel
Solche Veranstaltungen sind für die Unternehmen wichtig – gerade jetzt, wo es in der ganzen Schweiz an Fachkräften mangelt. Gemäss einer Umfrage der Beratungsfirma Deloitte unter über 400 Verwaltungsratsmitgliedern rückt der Mangel an qualifiziertem Personal in den Mittelpunkt. 57 Prozent der Befragten geben an, Verbesserungspotenzial bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden zu sehen, 69 Prozent erhoffen sich Lösungen von der Politik, um den Fachkräftemangel einzuschränken.
Am stärksten betroffen sind demnach traditionelle Branchen wie Informatik, das Ingenieur- oder Gesundheitswesen. Aktuell liegt der Fokus aber auch auf Gebieten, die von der Pandemie stark beeinträchtigt wurden, wie beispielsweise die Hotellerie und Gastronomie.
Weniger Suchende, mehr Stellen
Genaue Zahlen zu einem verbreiteten Fachkräftemangel in der Ostschweiz gibt es nicht. Eine Tendenz lässt sich hingegen feststellen. Anfang April schrieb etwa das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St. Gallen von einem überdurchschnittlichen Rückgang bei den Stellensuchenden.
Im März 2022 waren beim Kanton 10'534 Personen als stellensuchend gemeldet. Vor einem Jahr waren es 3570 Personen mehr, was einer Abnahme von über 25 Prozent entspricht. Allein im Vergleich zum Vormonat Februar suchten 4.5 Prozent weniger Personen eine Arbeit.
Die Ostschweiz ist nicht zu wenig attraktiv, im Gegenteil. Sie ist vielleicht zu wenig bekannt.
Gleichzeitig steigt die Zahl offener Stellen. Ende März waren beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) des Kantons St. Gallen fast 6000 Stellen gemeldet – so viele wie noch nie.
Der «Weg zurück»
Ein Problem, das sich spezifisch für die Ostschweiz ergebe, sei der sogenannte «Braindrain». Damit gemeint ist die Abwanderung von qualifiziertem Personal. «Viele hier aufgewachsenen Studenten studieren ausserhalb unserer Kantone. Es geht also auch darum, dass der Weg zurück in die Heimat attraktiv wird», sagt Marcel Räpple vom Thurgauer Amt für Wirtschaft. Es gebe aber auch das umgekehrte Problem: Zugezogene Studentinnen und Studenten verlassen die Ostschweiz nach dem Abschluss wieder.
Möglichen Ostschweiz-Rückkehrern eine Perspektive zu bieten – auch dafür sind die «Sprungbrett»-Events gedacht. Bis Ende April finden sie in der ganzen Deutschschweiz statt, zum Beispiel in Chur, Olten, Bern oder Rapperswil-Jona.