Nach über 20 Jahren in den USA ist der ehemalige Nasa-Wissenschaftsdirektor in die Schweiz zurückgekehrt und leitet an der ETH Zürich die Initiative Space. Aufgewachsen in Heiligenschwendi als Sohn eines freikirchlichen Predigers, wurde er zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler der Welt. Gegenüber SRF erzählt Thomas Zurbuchen über sein bewegtes Leben und die Beziehung zu seinem Vater.
SRF News: Wenn Sie als Astrophysiker in einer klaren Nacht in den Sternenhimmel schauen, was sehen Sie?
Thomas Zurbuchen: Der Himmel ist für mich heute schöner als vor meiner Ausbildung. Früher sah ich nur die Sterne und bestenfalls noch die Planeten. Heute weiss ich, dass zu jedem Stern mindestens noch ein Planet gehört. Wir wissen, dass es so viele Galaxien gibt wie Sterne in unserer Galaxie. Der Himmel ist voller Geschichten, und je nachdem, welchen Himmelskörper ich anschaue, denke ich an die jeweilige Geschichte. Ich stelle mir auch die Verbindung zu meinem eigenen Körper vor. Jedes Atom in meinem Körper ist eine Milliarde Jahre alt und stammt aus den Sternen. Unsere Körper bestehen aus Sternenstaub.
Auch wenn der Himmel einem zwischen den Sternen dunkel erscheint, ist dort nicht nichts, oder?
Es gibt ein Experiment: Wenn man ein Sandkorn auf den Finger legt und den Arm zum Himmel ausstreckt, befinden sich hinter diesem Sandkorn etwa 7000 Galaxien, und jede dieser Galaxien enthält mindestens 100 bis 400 Milliarden Sterne. Also nein, es ist nicht einfach dunkel!
Etwas über die Natur herauszufinden, was noch niemand wusste, ist ein unglaubliches Gefühl.
Ihr Vater war ein strenggläubiger Erweckungsprediger in einer Freikirche. Was glauben Sie, hat Ihr Vater gesehen oder gefühlt, als er zum Himmel aufschaute?
Ich glaube, er hat dieselbe Schönheit empfunden, aber aus anderen Gründen. Ich habe das Gefühl, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns unterscheidet. Für mich ist die Beobachtung der Natur nicht nur interessant, sondern auch wichtig. Etwas über die Natur herauszufinden, was noch niemand wusste, ist ein unglaubliches Gefühl. Es geht um die Bedeutung der Natur und nicht um einen selbst. Mein Vater hatte dieses Gefühl auch, er nannte es nur anders. Für ihn war das die Hand Gottes.
Ihr Vater predigte die Schöpfungsgeschichte und sie beschäftigten sich mit dem Urknall. Er hat Ihre Arbeit nie richtig verstanden, hat Sie das geschmerzt?
Ich würde lügen, wenn ich «Nein» sagen würde. Keinem Kind ist es egal, was seine Eltern denken. Jeder möchte, dass seine Umgebung stolz auf ihn ist. Dieses Feedback habe ich nicht bekommen, was mich natürlich geprägt hat. Aber ich habe meinen Frieden damit gemacht. Am Ende seines Lebens sind wir uns wieder nähergekommen. Es ist schade, dass wir nur Tage miteinander verbracht haben und nicht mehr Jahre. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit miteinander verbracht hätten, denn ich hätte noch viel von ihm lernen können.
Ich merke, dass ich oft weniger Angst habe als die Menschen, denen ich begegne. Weil ich weiss, wie es ist, ganz allein zu sein, und ich habe es trotzdem überlebt.
Auch wenn er so ganz anders gedacht hat, als Sie es tun?
Als ich nach Amerika ging, brach der Kontakt zu meinen Eltern ab. Sie haben mich verstossen und gesagt, wenn ich meine Meinung nicht ändere, brauche ich nicht zurückzukommen. Obwohl ich das niemandem wünsche, kann ich sagen, dass diese Situation einem eine unglaubliche Macht gibt. Man kann tun, was man will. Denn es gibt niemanden, den man enttäuschen kann. Ich merke, dass ich oft weniger Angst habe als die Menschen, denen ich begegne. Weil ich weiss, wie es ist, ganz allein zu sein, und ich habe es trotzdem überlebt.
Das Gespräch führte Simone Hulliger, Mitarbeit Géraldine Jäggi.