Wer hat wann, was gewusst? Diese Frage stellt sich nach den Enthüllungen rund um die Crypto AG – die jahrzehntelang als Tarnfirma für ausländische Geheimdienste von der Schweiz aus gearbeitet hat.
Von den bisher genannten potenziellen Mitwissenden der offiziellen Schweiz sind fast alle pensioniert. Nur einer ist noch im Amt, und das in entscheidender Position: Markus Seiler, Generalsekretär des Aussendepartements.
Wenig ruhmreicher Abgang
Seiler war vor seiner Tätigkeit als Generalsekretär von Ignazio Cassis Chef des Nachrichtendienstes (NDB). Dort spielte er in einer Affäre rund um den Spion Daniel M. eine fragwürdige Rolle. Der Nachrichtendienst hatte diesen damit beauftragt, deutsche Steuerbehörden auszuspionieren um herauszufinden, von wem sie Schweizer Bankdaten erhalten hatten.
Die Aktion war ein Flop und flog zudem auf, was zu einer Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation führte.
Der damalige NDB-Chef Seiler spielte Politikern Falschinformationen zu, um die Spionageaktivität zu legitimieren. Der grüne Sicherheitspolitiker Balthasar Glättli war einer der Adressaten: «Seit diesem Moment bin ich nicht mehr nur gut und vertrauensvoll auf Herrn Seiler zu sprechen.»
Die Untersuchung kam zum Schluss, dass die Spionagetätigkeit illegal war. Geheimdienstchef Seiler stellte sich auf den Standpunkt, dass er nichts davon gewusst hatte. Die Geschäftsprüfungsdelegation konnte ihm nichts nachweisen, kritisierte ihn aber wegen «mangelnder Führungsverantwortung».
Wenn Seiler nichts gewusst hat, muss man sich über die Fähigkeit der Person Fragen stellen
Das blieb ohne Folgen für Seiler. Rechtzeitig holte Bundesrat Ignazio Cassis seinen FDP-Parteikollegen ins Aussendepartement. Dort beschränkt sich Seiler nicht auf die übliche Rolle des Generalsekretärs, nämlich die Geschäfte des Departementes zu koordinieren. Er prägt die Politik mit. Der einflussreiche Generalsekretär und ehemalige Geheimdienstchef gerät nun aber in eine ungemütliche Lage.
Egal, ob Seiler wusste oder nicht wusste, dass die Zuger Firma Crypto AG in eine weltweite Bespitzelungsaktion für die CIA verwickelt war, sei das problematisch, findet SVP-Aussenpolitiker Roland Rino Büchel: «Natürlich ist es ein Problem, wenn die Leute gewusst haben, was passiert ist und nichts gemacht haben.» Es sei aber auch in Problem, wenn Seiler nichts gewusst habe: «Dann muss man sich über die Fähigkeit der Person Fragen stellen.»
Ich gehe davon aus, dass ein Chef des Nachrichtendienstes sehr, sehr viel weiss.
Seiler selbst nimmt keine Stellung dazu und gibt keine Interviews. Sein Parteikollege, FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann, geht davon aus, dass er im Bild war: «Ich gehe davon aus, dass ein Chef des Nachrichtendienstes sehr, sehr viel weiss. Und auch vieles, das grenzgängig ist. Es ist auch so, dass er nicht verpflichtet ist, alles zu melden.»
Der richtige Mann, um Aufklärung zu schaffen?
Die Frage stelle sich, ob Seiler als Nachrichtendienstchef verpflichtet gewesen sei, die Spionage-Tätigkeiten der Crypto AG seinen Vorgesetzten zu melden. Wenn nicht, sei ihm nichts vorzuwerfen, so Portmann.
Seiler wird wohl vor der Geschäftsprüfungsdelegation Red und Antwort stehen müssen über das, was er wusste oder nicht wusste. Ob dabei Licht in die Angelegenheit kommt, steht auf einem anderen Blatt.
Echo der Zeit, 18.2.2020, 18:00 Uhr, hosb