Zum Inhalt springen

Fall vor Bezirksgericht Zürich Vergewaltigungsvorwürfe: Influencer muss vor Gericht

Ein 30-Jähriger soll mehrere Frauen vergewaltigt haben. Ende März muss er sich in Zürich vor Gericht verantworten.

Er verkauft sich auf sozialen Medien als «Influencer» und Organisator von VIP-Partys und hat auf Instagram Tausende Follower. Doch hinter der glänzenden Fassade tun sich Abgründe auf: Der 30-jährige Mann soll mehrere Frauen vergewaltigt haben.

Ende März muss er sich in Zürich vor Gericht verantworten. Es gilt die Unschuldsvermutung. Der «Tages Anzeiger» hat drei Jahre zu diesem Fall recherchiert.

Ins Rollen gebracht hat den Fall ein anonymes Instagram-Konto, bei dem sich betroffene Frauen melden konnten. Ist das Schweizer Sexualstrafrecht auf solche Fälle vorbereitet?

«Foto-Shootings» für Frauen

Laut Staatsanwaltschaft soll er die Frauen mehrfach sexuell genötigt und vergewaltigt haben – etwa im Rahmen von Foto-Shootings, bei denen er den Frauen eine Modelkarriere versprach. Sechs Jahre Gefängnis fordert die Anklage. Bereits vor einem Jahr wurde der Mann vom Bundesgericht in einem anderen Fall als Sexualstraftäter rechtskräftig verurteilt.

Legende: Der Fashion-Influencer inszenierte gerne ein glamouröses Leben. Szenen aus einem Nachtclub vom Instagram-Kanal des Angeklagten. Instagram/Screenshot 10v10

Die Verteidigerin des Angeklagten hat sich gegenüber SRF schriftlich zu den Vorwürfen geäussert: «Mein Klient streitet ab, dass die sexuellen Kontakte gegen den Willen der Frauen geschahen. Die Frauen hatten nach den angeblichen Vorfällen teilweise weiter Kontakt mit meinem Klienten und haben die ihm vorgeworfenen Taten jahrelang nicht angezeigt. (...) Bei zwei Frauen hat die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe von Sexualdelikten bereits fallen lassen.»

So kam der Fall ins Rollen

Box aufklappen Box zuklappen

Auslöser für die Anzeigen war ein anonymes Instagram-Konto, bei dem sich Betroffene meldeten. In nur vier Tagen berichteten 17 Frauen von sexuellen Handlungen, die der Angeklagte gegen ihren Willen ausgeübt habe. Ein Schweizer Fall von #MeToo.

Die fünf verbliebenen Fälle, die vors Zürcher Bezirksgericht kommen, liegen länger zurück. Wieso melden sich Betroffene erst Jahre nach einem Vorfall?

Legende: «Die stundenlangen Einvernahmen, auch die Konfrontation mit Einvernahme oder den Aussagen der beschuldigten Person sind belastend», sagt Agota Lavoyer. Darum vermeiden Opfer häufig eine Anklage. SRF

«Viele versuchen, das Erlebte hinter sich zu lassen», sagt Agota Lavoyer, die jahrelang als Opferhilfeberaterin tätig war und einen Ratgeber für Opfer herausgegeben hat.

Viele haben auch grosse Angst, zu Recht, vor einem Strafverfahren, vor dem, was auf sie zukommt.
Autor: Agota Lavoyer Expertin für sexualisierte Gewalt

Viele hätten auch zu Recht grosse Angst vor einem Strafverfahren, vor dem, was auf sie zukommt. «Sie wissen, dass Strafverfahren lange dauern kann, dass es emotional und psychisch wahnsinnig belastend ist. Und es wissen auch alle, dass die Chance, dass es zu einer Verurteilung kommt, bei sexualisierter Gewalt leider sehr klein ist.»

In 80 Prozent keine Verurteilung

In der Schweiz gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Sexualdelikte vor Gericht landen und wie oft es zu einem Urteil kommt. Der Kanton Zürich hat jedoch die abgeschlossenen Fälle der Jahre 2016 bis 2018 ausgewertet. In rund 80 Prozent der über 400 Fälle kam es zu keiner Verurteilung. Der forensische Psychologe Jérôme Endrass kritisiert das Schweizer Sexualstrafrecht.

Legende: «Sonst geht man überall davon aus, dass wenn man etwas will, dass man das Okay einholen muss, bevor man diese Leistung bezieht»: der forensische Psychologe Jérôme Endrass kritisiert das Schweizer Sexualstrafrecht. SRF

Er findet: Wie in anderen Lebensbereichen bräuchte es auch beim Sex zuerst ein «Ja».

Im Sexualstrafrecht muss man sich keine Einwilligung einholen.
Autor: Jérôme Endrass Forensischer Psychologe, Stv. Leiter Amt für Justizvollzug Zürich

«Wenn jemand in eine Wohnung eindringt und dort einfach den Fernseher mitnimmt, würde man davon ausgehen, dass es ein Diebstahl ist – sofern er sich nicht vorgängig die Einwilligung geholt hat, dass er den Fernseher mitnehmen darf», sagt Endrass. Im Sexualstrafrecht müsse man sich keine Einwilligung einholen. Das stünde im krassen Gegensatz zum sonst geltenden Recht.

Influencer nach altem Recht beurteilt

Das Bundesparlament entschied sich für eine weniger weitgehende Reform: Seit letzten Juli gilt die sogenannte «Nein heisst Nein»-Regelung.

Nach dieser kann ein Täter verurteilt werden, wenn er das «Nein» oder non-verbale Zeichen des Opfers ignorierte.

Führt das verschärfte Gesetz zu mehr Verurteilungen?

Box aufklappen Box zuklappen

«Ob die Verschärfung des Gesetzes zu mehr Verurteilungen führen wird, ist schwer vorauszusehen. Für die Opfer ist es aber ein Hoffnungsschimmer», so die Expertin für sexualisierte Gewalt, Agota Lavoyer. «Was wir uns sehr erhoffen, ist, dass der Fokus bei den Einvernahmen jetzt tatsächlich ein anderer wird.»

Sie erhofft sich, dass es nach der Reform nun vielmehr darum ginge, wieso die beschuldigte Person davon ausging, dass es einvernehmlich ist und ob dieses Einvernehmen irgendwo sichtbar ist. «Und dass es eben nicht mehr oder viel weniger um diese Nötigungshandlung geht, wie beim alten Gesetz, wo man darlegen musste, dass es zu brutaler Gewalt gekommen ist.»

Dieser Fall wird aber noch nach dem alten Recht beurteilt. Bedeutet: Die Anklage wird beweisen müssen, dass der mutmassliche Täter körperliche oder psychische Gewalt angewendet hat.

Prozess Ende März 2025

Box aufklappen Box zuklappen

Ende März wird der Fall am Zürcher Bezirksgericht verhandelt. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

10v10, 14.02.2025, 21:50 Uhr

Meistgelesene Artikel