Wenn Arvind und Ishwarya S. ins Haus ihrer Eltern wollen, zwängen sie sich durch einen Spalt in der Wand. Geduckt wie die Einbrecher betreten sie ein Zuhause, das etwa so heimelig ist wie eine Garage. Der obere Stock ist ein Boden ohne Wände, dem Haus fehlt das Dach. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Dies ist eine Geschichte von Menschen, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollten und jetzt vor dem Ruin stehen. Eine Geschichte, die seit Jahren grösser und komplexer, aber erst durch Recherchen von SRF Investigativ bekannt wird. Eine Geschichte, in der eine Firma im Tessin eine undurchsichtige Rolle spielt und in der immer wieder die Namen zweier Unternehmer fallen. Aber von Anfang.
Die Bauruine kostete gut 700'000 Franken
Roggwil im Kanton Bern, ein Dorf wie die Schweiz : Bauernhöfe und Tartanbahn, Tankstelle und Bahnhof, 4316 Einwohnerinnen und Einwohner. 2022 kaufen die Eltern von Arvind und Ishwarya S. ein Haus, das die House4me GmbH hier bauen will. Preis: rund 700'000 Franken für 160 Quadratmeter Wohnfläche, Tiefgarage, Wärmepumpe.
Und vor allem: Dank vorfabrizierten Betonelementen bezugsbereit noch im selben Jahr.
Doch bis heute wartet Familie S. auf den Einzug, zahlt seit fast zwei Jahren Miete und Hypothek gleichzeitig: «Wenn ich mir die Rechnungen anschaue, weiss ich manchmal nicht, wie wir da durchkommen wollen», sagt Arvind S. inmitten der Baustelle, die zusehends verlottert.
Elf Einfamilienhäuser wollte Generalplaner Jürg Zesiger mit seiner House4me GmbH in Roggwil bauen. Und zwar zusammen mit Michel Badertscher, einem Architekten, der das Projekt geleitet hat.
Doch bis jetzt reiht sich auf der Parzelle Bauruine an Bauruine, bei einigen Häusern ist noch nicht einmal die Baugrube ausgehoben – obwohl die Bauherrschaften je mehrere Hunderttausend Franken bezahlt haben. Seit Juni ist House4me Konkurs. Und in Roggwil fragen sich die Leute: Wo sind unsere Häuser? Und wo ist unser Geld?
Wer diesen Fragen nachgeht, stösst auf eine Geschichte, von der die Öffentlichkeit bislang nichts weiss. SRF Investigativ hat mit rund 20 Bauherren im Mittelland, der Zentral- und Westschweiz gesprochen; E-Mails, Verträge, Gerichtsakten studiert; öffentliche Quellen durchforstet und sechs Bauprojekte gefunden, in denen Häuser versprochen, aber nicht gebaut worden sein sollen.
In allen sechs Fällen richtet sich die Kritik gegen Architekt Michel Badertscher, in drei davon war Jürg Zesiger involviert: in Roggwil, bei einem Bauprojekt in Schüpfheim LU und beim Bau mehrerer Einfamilienhäuser in Lengnau BE.
«Als Erstes hatten wir einen Pool.» Mittlerweile kann Roland Emmenegger mit Humor nehmen, was ihm seit langem auf dem Magen liegt. Er steht auf einer Wiese vor dem dreistöckigen Haus, in dem er heute wohnt und an dessen Stelle fast zwei Jahre ein Loch klaffte; voll mit Wasser.
Im Herbst 2016 kauft Emmenegger eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das Michel Badertscher und eine Firma namens Cogespro in Schüpfheim bauen wollten. Den Kauf vermittelt hat Jürg Zesiger. Emmengger habe sich Projekt und Firma angesehen, sich deren Bonität bescheinigen lassen und den Vertrag unterschrieben. Was er nicht ahnt: Bis er einziehen kann, wird es vier Jahre dauern.
Baustelle geht nicht vorwärts, Unternehmen will mehr Geld
Im Entlebuch haben die Arbeiten nicht richtig angefangen, da stocken sie. Weil man auf Grundwasser gestossen sei, weil man Pläne habe überarbeiten müssen, weil Betonelemente nicht rechtzeitig bezahlt worden seien.
Als Cogespro mehr Geld will, kommen den Bauherren Zweifel. Und als sie vom Bauunternehmer im Dorf hören, die Firma habe ihn noch nicht für den Aushub bezahlt, nehmen sich die acht Bauherren einen Anwalt. 2018 kommen sie aus dem Vertrag, bauen ihr Haus selber fertig und: zeigen Michel Badertscher und zwei weitere Personen an.
Bauherren sprechen von Millionenschaden
Denn die Bauherren sagen: Das Geld, das sie an Cogespro überwiesen haben, hätten sie nicht wiedergesehen. Auf gesamthaft rund 1.4 Millionen Franken beziffern sie den Schaden.
Die Staatsanwaltschaft hat ein mehrjähriges Strafverfahren gegen Michel Badertscher, die damalige Geschäftsführerin von Cogespro und einen Notar geführt, dieses aber vor Kurzem eingestellt. Jürg Zesiger musste als Zeuge aussagen. In der Einstellungsverfügung heisst es, das «Geldmanagement der Cogespro Gruppe» sei «aufwendig und auch unübersichtlich» gewesen.
Dennoch lässt sich laut den Strafverfolgern nicht beweisen, dass die Mittel für etwas anderes als für die Baustelle verwendet worden sind. In der Untersuchung sagte Michel Badertscher, er habe mit den Finanzen bei Cogespro nichts zu tun gehabt und sei einzig für das Technische verantwortlich gewesen. Er weise die Vorwürfe der ungetreuen Geschäftsbesorgung und Veruntreuung von sich.
Gegen die Einstellung haben die Bauherren Beschwerde erhoben, diese ist hängig, das Verfahren nicht abgeschlossen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Viel Geld floss zu einer undurchsichtigen Firma
Roggwil. Aus Arvid S. spricht der Frust, wenn er auf das Chaos blickt, das längst das Zuhause seiner Eltern sein sollte: «Hier hat man uns ein fixfertiges Haus versprochen und nur eine Bauruine hinterlassen.»
Wie konnte das passieren? Recherchen führen zu einer Firma, die im Projekt involviert war und Fragen aufwirft: die Cork International Trading LLC, ein Baustoffhändler nahe Bellinzona – Sitz in einem Wohnhaus, keine Website, die Telefonnummer funktioniert nicht.
Alleine von Familie S. sind fast 165'000 Franken an die Firma geflossen, rund ein Viertel des Baubudgets. SRF Investigativ hatte Einsicht in die Rechnungen. Cork verrechnete zehntausende Franken für Wände, Betondecken, Treppen.
Nur: Laut Hanspeter Vetsch, Fachmann für Betonelemente, sind einige davon viel zu teuer: «Teilweise um mindestens das Doppelte», sagt Vetsch, der die Rechnungen für SRF Investigativ studiert hat.
Wo ist das Material?
Noch etwas fällt auf: Obwohl die Bauherrschaften je mehrere Zehntausende Franken für Material bezahlt haben, fehlt dieses teilweise. So schickte Cork Familie S. eine Rechnung über 15’000 Franken für Fenster und Türen, die auf der Baustelle nirgends zu finden sind.
Fragen zu den sehr hohen Preisen und dem nicht auffindbaren Material beantwortet der Geschäftsführer von Cork International nicht. Er schreibt, die Firma sei einzig dafür zuständig gewesen, Import, Einkauf und Lieferung des Materials nach Roggwil zu koordinieren.
Jürg Zesiger, der die Fragen von SRF Investigativ ebenfalls nur schriftlich beantworten wollte, schreibt, er habe das Geld für die Baustelle Roggwil «korrekt eingesetzt». Es habe ein separates Baukonto gegeben, die Bank habe «für alle Zahlungen Belege und erst dann die Zahlungen freigegeben». Im Projekt Roggwil waren mehreren Banken involviert, als einzige nimmt die Berner Kantonalbank Stellung. Sie verweist auf das Bankgeheimnis und schreibt, sie nehme den «Sachverhalt sehr ernst» und untersuche ihn intern «eingehend».
Weiter sagt Zesiger das gleiche, wie er den Familien in Roggwil erklärt hat: Der Bau habe sich verzögert, etwa wegen einer Einsprache der Gemeinde, der Corona-Pandemie oder aufgrund des Ukraine-Kriegs.
Schliesslich weist er eine enge Verbindung zu den Projekten in Schüpfheim und Lengnau von sich, bei denen er als Makler aufgetreten ist. Er habe mit dem Bau nichts zu tun gehabt.
Michel Badertscher weist Verantwortung von sich
Und Michel Badertscher? Nach mehreren erfolglosen Kontaktversuchen erreicht SRF Investigativ den Projektleiter am Telefon. Bei diesem Telefonat sagt Badertscher im Kern drei Dinge: Dass ihm die Firma Cogespro nicht gehört habe (was stimmt, dennoch hat die Staatsanwaltschaft im Fall Schüpfheim festgehalten, Badertscher habe die Firma faktisch geleitet). Dass er im Fall Lengnau eigenes Geld eingeschossen habe, um den Bauherren zu helfen. Und dass SRF nicht die richtige Wahrheit hätte.
Um die Angelegenheit zu klären, stellte Badertscher ein Treffen in Aussicht, ohne danach je wieder von sich hören zu lassen. Einen detaillierten Fragenkatalog zu den Geschehnissen in Roggwil und seinen übrigen Geschäften hat er nicht beantwortet, auch nicht nach mehrmaliger Nachfrage.
Dabei erhofften sich die Bauherren in Roggwil nichts sehnlicher als Antworten. Und das bald. Oder wie es Arvind S. auf der Baustelle sagt: «Das Wasser steht uns bis zum Hals. Ich weiss nicht, wie lange wir das noch durchhalten können.»