Der Schweizer Armee fehlt mindestens eine Milliarde Franken, um bestellte Rüstungsgüter zu bezahlen. Das zeigt ein Dokument des Armeestabs. Gemäss den Unterlagen ist die Armeeführung von ihrer langjährigen Finanzplanung abgewichen. SRF-Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt erklärt, wie es zur Finanznot im VBS gekommen ist.
Warum hat niemand realisiert, dass die Armeeausgaben aus dem Ruder laufen?
Bundesrat und Parlament genehmigen Jahr für Jahr neue Rüstungsvorhaben, die sogenannten Rüstungsprogramme. Geliefert und bezahlt werden diese Güter aber erst Jahre später. Dies hat zur Folge, dass in einem Jahr Zahlungen für mehrere «Rüstungsprogramme» fällig werden. Beim VBS gibt es eine nicht öffentliche Planung, wann welche Zahlungen anstehen. Aus den vorliegenden Unterlagen ist ersichtlich, dass ab 2024 bis 2027 – vor allem wegen der Beschaffung von neuen Kampfjets – hohe Zahlungen ausstehend sind. Dies hat zur Folge, dass die Armee absolut keinen finanziellen Handlungsspielraum mehr hat, weil sie über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus Rüstungsgüter bestellt hat.
Wer ist für diese Situation in der Armee verantwortlich?
Gemäss den Quellen von Radio SRF sollen Finanzverantwortliche seit Jahren darauf hingewiesen haben, dass die Verpflichtungen für Rüstungskäufe und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel immer mehr auseinanderklaffen. Am Donnerstag wird die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates an ihrer Sitzung Antworten von der Armeeführung und Departementschefin Viola Amherd erwarten.
Zurückblickend gab es drei Phasen: Die Armee hat 2018 eine «Masterplanung» mit den «Rüstungsprogrammen» der Folgejahre verabschiedet – wissend, dass 2022 für neue Kampfjets und die Luftverteidigung ein sehr grosses Rüstungsprogramm von über acht Milliarden Franken ansteht. Zur Finanzierung hatte die Armeeführung drei bis vier Jahre kein Rüstungsprogramm eingeplant und ein nur kleines im Jahr 2021. Effektiv hat das VBS aber 2020 und 2021 deutlich teurere Rüstungsprogramme beantragt als in der Planung vorgesehen – und diese auch erhalten.
Im Februar 2022 griff Russland dann die Ukraine an. Das Parlament nahm in der Folge einen Vorstoss an, der massiv mehr finanzielle Mittel für die Armee bis 2030 forderte. In dieser zweiten Phase waren also grössere Rüstungsprogramme politisch gewollt.
Im Januar 2023 beschloss aber der Bundesrat, das verlangte Wachstum der Armeeausgaben um fünf Jahre zu erstrecken. Spätestens dann musste die Armeeführung also damit rechnen, die geplanten Investitionen nicht so rasch realisieren zu können. Trotzdem hat sie 2023 ein Rüstungsprogramm von 725 Millionen Franken vorgelegt – statt, wie geplant, darauf zu verzichten.
Der Armee fehlt eine Milliarde Franken für Rüstungsgüter. Was passiert jetzt?
Die Armee verhandelt nun mit Lieferanten darüber, die Lieferung oder die Bezahlung aufzuschieben. Aber irgendwann werden die Zahlungen fällig – und die Summe immer grösser. Entweder benutzt man das geplante Wachstum der Armeeausgaben in den nächsten Jahren dazu, die ausstehenden Rechnungen zu bezahlen und auf neue Rüstungsvorhaben zu verzichten. Oder die Armee erhält noch mehr Geld. Das aber lässt der Bundeshaushalt eigentlich nicht zu, weil Finanzlöcher in Milliardenhöhe absehbar sind. Zusätzliche Gelder für die Armee müssten also an anderen Stellen eingespart werden. Das würde Bereiche treffen wie die Landwirtschaft, den öffentlichen Verkehr, Bildung und Forschung oder die Entwicklungshilfe.