Die eine hat schönere Augen. Die andere ist schlanker. Und diese Handtasche – warum habe ich die nicht? Social Media überflutet vor allem Mädchen und junge Frauen mit Eindrücken und Lebenswelten, die eifersüchtig sowie klein und hässlich machen. Und diese Gefühle machen krank. Depressiv.
Doch auf Hilfe müssen junge Menschen zu oft zu lange warten. Es fehlt an Fachleuten und Therapieplätzen. «Wir haben lange Wartezeiten», sagt Evelyn Herbrecht, stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder und Jugendliche in Basel. «Immer wieder müssen wir schauen, wie hoch die Dringlichkeit ist, wer sofort versorgt werden muss – und bei wem es noch etwas Zeit hat.» Diese harte Triage sei auch für die Mitarbeitenden sehr anspruchsvoll, sagt Herbrecht.
In Bern haben die Notfallbehandlungen letztes Jahr ein neues Rekord-Niveau erreicht. Das berichtet «20Minuten». Auch die psychiatrischen Kliniken der Kantone Aargau, Uri, Schwyz, Zug, Luzern und Basel bestätigen gegenüber SRF eine deutliche Zunahme von Fällen im letzten Jahr.
Zahl der Psychotherapeutinnen erhöhen
Doch nicht nur Social Media macht die Kinder krank. Die ganze Weltlage, Nachwirkungen von Corona, die Kriege in der Ukraine oder im Nahen Osten belasten Kinderseelen, lassen sie verzweifeln, den Glauben an die Zukunft verlieren.
Oliver Bilke-Hentsch, Präsident der Vereinigung kinder- und jugendpsychiatrischer Chefärztinnen und Chefärzte, hat eine klare Vorstellung, wie sich die Lage verbessern könnte: «Die Zahl der Psychotherapeutinnen und -therapeuten muss unbedingt erhöht werden», sagt Bilke-Hentsch. «Zudem müssen wir die Vernetzung stärken. Schulen müssen mithelfen bei der Früherkennung – und auch die Politik ist gefragt.»
Doch niemand kann Therapeutinnen und Therapeuten aus dem Hut zaubern. Lange, anspruchsvolle Ausbildungen sind nötig – ebenso gute Sprachkenntnisse, damit die Therapierenden die Kinder und Jugendlichen auch verstehen.
Ansturm auf Beratungsangebote
Immer mehr Kinder melden sich auch bei Pro Juventute, beim Beratungsangebot 147. «Der Leidensdruck ist für immer mehr Kinder und Jugendliche immer grösser», sagt Anja Meier von Pro Juventute.
Ein Blick in die Zahlen bestätigt das eindrucksvoll: 166-mal meldeten sich junge Menschen bei 147, weil sie sich etwas antun wollten. Im Jahr 2019 waren es erst 57 derartige Kriseninterventionen. Total riefen 2023 rund 42'000 Jugendliche an, welche die Not nicht mehr aushielten, jemanden zum Reden brauchten.
Und weil das Elend auf der Welt in diesen Tagen nicht gerade kleiner wird und die Social-Media-Kanäle nicht weniger, werden es wohl auch im laufenden Jahr mehr Kinder und Jugendliche, die nicht mehr klarkommen. Der Fachkräftemangel in der Betreuung Kinder und Jugendlicher – es ist wohl der schmerzhafteste und verheerendste. Einen fehlenden Maurer oder Informatiker kann die Gesellschaft verschmerzen – kranke Kinderseelen ohne Hilfe nicht.