Die Fifa, die am Prozess in Bellinzona als Privatklägerin vertreten ist, erachtet zwar Fragen nach Hintergründen der Infantino-Wahl als «Nebelwand, als Verschwörungstheorie» der Verteidigung. Trotzdem liess das Gericht am Donnerstag zu, Olivier Thormann als Zeuge zu vernehmen.
Thormann war in den fraglichen Jahren Leiter Wirtschaftskriminalität bei der Bundesanwaltschaft und verantwortlich für die Einleitung von Ermittlungen gegen Sepp Blatter und Michel Platini. Woher stammten seine Informationen?
Was die Fifa und ihr jetziger Präsident mit mir getan haben, ist skandalös. Es gibt Gerechtigkeit, und sie wird eines Tages ans Licht kommen.
Hintergrund: Seit sieben Jahren rätselt die Fussballwelt, weshalb am 24. September 2015 die Bundesanwaltschaft plötzlich gegen Michel Platini zu ermitteln begann. Das Verfahren verhinderte den Sprung des damaligen Präsidenten des europäischen Fussballverbands Uefa an die Fifa-Spitze als Nachfolger von Sepp Blatter. Statt ihm schaffte es dann der bis dahin wenig bekannte Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino.
Platini suggeriert seit Jahren: ein Komplott. Heute erklärte er vor Gericht: «Was die Fifa und ihr jetziger Präsident mit mir getan haben, ist skandalös. Es gibt Gerechtigkeit, und sie wird eines Tages ans Licht kommen.» Deshalb warten alle gespannt auf die heutige Aussagen von Olivier Thormann. Wurde er gezielt instrumentalisiert aus Infantino-Kreisen, wie die Platini-Verteidigung vermutet?
Nicht Intrige, sondern normale Ermittlungsarbeit
Die Antworten waren für Platini enttäuschend. Thormann erklärte, die Bundesanwaltschaft habe damals, im Mai 2015, nach der Verhaftung der Fifa-Funktionäre im Zürcher Luxushotel Baur au Lac eine sogenannte begleitete Edition in der Fifa durchgeführt. Das heisst eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung von Daten mit Einverständnis der Fifa. Man habe Lohnauszüge sämtlicher 24 Mitglieder des sogenannten Fifa-Exekutivkomitees einverlangt. Platini war eines der Mitglieder.
Der damalige Fifa-Generalsekretär Markus Kattner habe ihm, Thormann, in diesem Zusammenhang «ein Factsheet» mit den Zahlungen in die Hand gedrückt. Und ihm «eine mündliche Zusatzinformation bezüglich der 2-Millionen-Zahlung an Platini» gegeben. Mit anderen Worten: Nicht Intrige sei die Informationsquelle gewesen, sondern ganz normale Ermittlungsarbeit, erklärte Thormann. Aufgrund dieser Information habe die Bundesanwaltschaft am 25. September 2015 Blatter und Platini einvernommen und eine Hausdurchsuchung vorgenommen.
Blatter will Rechnungskopie vergessen haben
In diesem Zusammenhang gab es heute eine weitere Überraschung. Blatter bestätigte vor Gericht, dass er die Rechnung über zwei Millionen, über die Platini stolperte, bei sich in einem Korpus hinter seinem Schreibtisch aufbewahrte. Hier fanden die Ermittler damals das Papier.
Auf die Frage des Gerichts, ob er das Papier als «Faustpfand» bei sich aufbewahrt habe, um es bei Bedarf gegen Platini auszuspielen, antwortete Blatter ausweichend: «Das war eine Kopie. Ich wusste nicht mehr, dass ich sie dort aufbewahrte.» Viele vermuten, dass Blatter bei sich Unterlagen archivierte, um sie bei Bedarf gegen missliebige Fifa-Funktionäre einsetzen zu können.