Seit Mittwoch stehen die beiden Fussball-Grössen Sepp Blatter (86) und Michel Platini (67) in Bellinzona vor dem Bundesstrafgericht. Der Vorwurf: Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung und im Falle von Platini noch Betrug.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen eine 2-Millionen-Zahlung vor, die Blatter im Jahr 2011 an Platini überweisen liess – laut Anklage ohne Berechtigung.
Zur Erinnerung: Sepp Blatter war damals der grosse Fifa-Präsident, seit 1998 im Amt und kurz vor der Wiederwahl für eine vierte Amtszeit. Platini amtete als Präsident des europäischen Fussballverbands Uefa. Damals waren sie die beiden grossen Fussballgrössen. Jetzt stehen sie vor dem Strafrichter.
Wer hat die Information gesteckt?
Dabei interessiert die Frage, ob die 2-Millionen-Zahlung kriminell war, nur am Rande. Im Vordergrund steht für die Prozessbeobachter vielmehr die Frage: Wer hat die Information über die dubiose Zahlung den Ermittlern gesteckt? Heute nun kommt es zum grossen Showdown.
Der Zeuge, der Licht in die Angelegenheit bringen soll, heisst Olivier Thormann, ehemals Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft und damals verantwortlich für die Ermittlungen gegen Blatter und Platini.
Es kam alles anders
Im Vordergrund steht die Frage: Woher wusste Thormann von der Zahlung? Das interessiert deshalb, weil die Ermittlungen vor allem die Karriere des französischen Fussballstars Platini massiv beschädigt haben.
Alles geht zurück ins Jahr 2015, genauer gesagt in den Mai 2015. Damals verhaftete die Schweizer Polizei im Zürcher Luxushotel Baur au Lac hohe FIFA-Funktionäre aufgrund eines US-Haftbefehls. Es war der Beginn des Endes der bisherigen Fifa.
Und es war das Ende von Fifa-Präsident Blatter. Wenige Tage später stellte er sein Präsidentenamt zur Verfügung. Der designierte Nachfolger war niemand anders als Michel Platini, der sich schon als Fifa-Präsident sah.
Doch es kam alles anders. Plötzlich begann die Schweizer Bundesanwaltschaft wegen einer 2-Millionen-Zahlung zu ermitteln, Platini konnte nicht mehr kandidieren. An seiner Stelle wurde sein Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino gewählt.
Drei Thesen kommen infrage
Deshalb steht im Mittelpunkt des Prozesses paradoxerweise nicht die dubiose Zahlung, sondern die Frage: Wer war die Quelle der Information? Es gibt drei Thesen:
- These 1: Gianni Infantino oder sein Umfeld haben die Bundesanwaltschaft beziehungsweise Thormann über die Zahlung informiert, um sich mittels dieser Intrige an die Fifa-Spitze zu schwingen.
- These 2: Die Bundesanwaltschaft hat die Zahlung im Zuge ihrer ausgiebigen Ermittlungen im Mai 2015 entdeckt.
- These 3: Blatter selbst ist die Quelle. Das auf jeden Fall schrieb kürzlich die französische Zeitung «Le Monde».
Laut «Le Monde» hat Blatter selbst den Ermittlern die Unterlagen über die dubiose Zahlung gezeigt, weil er sich an Platini rächen wollte. Er habe die Unterlagen in seinem Büro aufbewahrt und sie den Ermittlern «mit einem schelmischen Lächeln» überreicht, schreibt die Zeitung.
Und Olivier Thorman? Was sagt er zum Vorgang? Heute wird er als Zeuge aussagen müssen, voraussichtlich noch vor Mittag. Thormann muss nicht weit reisen. Er arbeitet inzwischen selber am Bundesstrafgericht, nachdem er die Bundesanwaltschaft im Unfrieden verlassen musste. Er ist über zu enge Kontakte zum Fifa-Chefjuristen gestolpert.