«Es kann jeden treffen», warnt Ruth Van de Gaer Sturzenegger in der Sendung «Club». Angefangen hat alles mit einer harmlosen Investition von 250 Euro.
Es ist Frühjahr 2022, die Corona-Pandemie legt das Fitnessgeschäft von Ruth Van de Gaer Sturzenegger lahm. Zu diesem Zeitpunkt ist ihr klar, dass ihr Vermögen nicht bis ans Lebensende reichen werde, und sie steigt auf eine Messenger-Nachricht ein. «Mehrmals hatte eine entfernte Bekannte über Messenger von ihrer Investition geschwärmt, deren Gewinn auch bereits unkompliziert ausbezahlt wurde», erzählt die Unternehmerin.
Von der ersten Investition zur Katastrophe
«Verstehen Sie etwas von Trading? Und wie viel möchten Sie verdienen?», fragt die Dame am Telefon. «Nein», antwortet Van de Gaer zur ersten Frage, und scherzhaft: «eine Million wäre nicht schlecht», zur zweiten.
Ab diesem Moment übernimmt der vermeintliche Senior-Broker Daniel Mayo die Gespräche – ihm ist klar: Hier gibt es viel zu holen. Van de Gaer wird mit echten Marktanalysen versorgt, die ihr angebliches Investment seriös wirken lassen. Aus den anfänglichen 250 Euro werden 5000 Euro und so weiter.
Das ist typisch für das sogenannte «Pig-Butchering», bei dem die Opfer quasi gemästet und dann ausgenommen werden. Die scheinbaren Gewinne auf der falschen Plattform wachsen stetig. «Ich habe Daniel Mayo noch nie getroffen und doch vertraute ich ihm mein Geld an!» schreibt Van de Gaer später in ihrem Buch, in dem sie das Erlebte verarbeitet.
Der Moment der Erkenntnis
Nach drei Monaten möchte sich die Unternehmerin ihr Geld auszahlen lassen, doch die Betrüger fordern eine Steuer. «Da wurde ich endgültig misstrauisch», berichtet sie. Am Ende ist ihr gesamtes Vermögen verloren, zudem hat sie Schulden. Insgesamt verlor sie - mit den Schulden – 930’000 Franken.
Finanzbetrug ist ein Milliardengeschäft. Die Methoden werden immer ausgeklügelter, die Täter immer dreister. Die Zahl der Betrugsversuche hat sich in der Schweiz in den letzten 5 Jahren bei Über-55-Jährigen verdoppelt. Der grösste Schaden wird laut Pro Senectute verursacht, wenn die Geschädigten von vertrauten Personen auf Investitionen aufmerksam gemacht werden: von Angehörigen, Finanzberatern, Sohn oder Tochter.
Ein neuer Anfang
«Ich wusste nicht, wie ich am nächsten Tag Essen auf den Tisch kriegen sollte und fragte mich, ob ich so noch existieren will», erzählt Van de Gaer. In dieser Zeit hätte sie sich psychologische Hilfe gewünscht, doch nicht jede Straftat löst automatisch Leistungen der Opferhilfe aus. Das Opferhilfegesetz berücksichtigt nur Straftaten, bei denen eine unmittelbare Beeinträchtigung der körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität vorliegt. Diese Unmittelbarkeit ist bei Delikten wie Diebstahl, Betrug oder Sachbeschädigung nicht gegeben.
Ruth Van de Gaer gründet eine gemeinnützige Plattform für Geschädigte und warnt unermüdlich vor Online-Betrug. Niemand sei davor sicher, betont sie. «Ich hatte die Nachricht zuvor mehrere Male weggeklickt», doch an jenem verhängnisvollen Abend dachte sie: «250 Euro, kann ich ja mal probieren». Es sei wichtig, darüber zu sprechen, nur so könne man etwas ändern.
Ihre finanzielle Situation sei heute noch nicht stabil, sagt Van de Gaer. Mit drei Jobs – als Frühstücksdame in einem Hotel, stellvertretende Betriebsleiterin in einem Café und Fitness-Coach – versucht sie sich über Wasser zu halten.