Jede Unterschrift zählt. Zum Beispiel für Noémie Roten vom Komitee für den Service Citoyen, den Bürgerinnen- und Bürgerdienst für alle: «Es ist viel schwieriger, Leute zum aktiven Sammeln zu mobilisieren, als wir ursprünglich dachten.» Nach rund einem Drittel der Sammelzeit liegen erst 10'000 beglaubigte Unterschriften vor. Geht es in diesem Takt weiter, kommen die 100'000 Unterschriften für die Initiative nicht zusammen.
Auch die Jungen Grünen sind am Sammeln: für ihre Umweltverantwortungs-Initiative. 130'000 Unterschriften sind zwar eingegangen, doch kurz vor Schluss zeigt sich, dass ein Viertel davon ungültig sind. Und die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen im zweiten Anlauf steht kurz vor Sammelende vor dem Aus.
Jede dritte Initiative scheitert in der Sammelphase
Der Politikwissenschaftler Marc Bühlmann von der Universität Bern beobachtet das Zustandekommen und Scheitern von Initiativen. Über die Jahre gesehen schafft es etwa ein Drittel der Initiativen nicht, wie er ausgerechnet hat. Im Moment werden für 26 Initiativen Unterschriften gesammelt, fast ein Rekordwert. Das heisst, dass acht bis zehn Initiativen in der Sammelphase scheitern könnten.
Ein Grund sei, dass nicht jedes Thema ankomme, stellt Bühlmann fest: «Jene Themen, die im Parlament nicht unbedingt bearbeitet werden, aber einem Grossteil der Bevölkerung unter den Fingernägeln brennt, haben es meist nicht sehr schwer.» Sehr schwierig werde es für Initiativen mit Bedeutung für einen eher kleinen Kreis.
Heute wird viel zu schnell zur Initiative gegriffen. Das ist sehr oft nicht ausgereift und stimmt für einen grossen Teil der Bevölkerung nicht.
Das bestätigt der langjährige Campaigner Marc Wilmes, der über 30 Komitees beraten hat. Nach seiner Einschätzung wird heutzutage viel zu schnell zum Mittel der Initiative gegriffen. Das sei sehr oft nicht ausgereift und stimme für einen grossen Teil der Bevölkerung nicht: «So absurd das klingt: Es ist zu einfach geworden, eine Initiative zu ergreifen, auch wenn es immer schwieriger wird, die nötigen Unterschriften zu bekommen.»
Sammeln gegen Geld hat Tücken
Eigentlich überrascht das Wehklagen der Komitees. Seit ein paar Jahren setzen diese auf digitale Kanäle und Online-Communities. Aber der Rücklauf sei ernüchternd, sagen sie. Deshalb setzen viele Komitees auf bezahlte Sammlerinnen und Sammler.
Die Unterschrift koste im Moment zwischen fünf und acht Franken, weiss Berater Wilmes. Aber die Qualität sei schlecht: «Die Quantität kommt vor der Qualität, wenn Sammlerinnen und Sammler pro Unterschrift bezahlt werden.» Denn je mehr diese verdienen wollten, desto eher neigten sie zu unsorgfältiger Arbeit.
Bis zu 30 Prozent ungültige Unterschriften
Das führt laut Wilmes dazu, dass 20 bis 30 Prozent der Unterschriften für ungültig erklärt werden. Die Komitees müssen also 140'000 Unterschriften sammeln, damit es für 100'000 gültige reicht. Das wiederum macht das Sammeln teurer. Wer professionell sammelt, müsse inzwischen über ein Budget zwischen einer halben Million und 900'000 Franken verfügen, sagt Wilmes. Alleine für das Sammeln.
Noémie Roten vom Komitee für den Service Citoyen nennt die hohen Kosten so etwas wie das «schmutzige Geheimnis» der Schweizer Demokratie. Trotzdem setzt auch sie auf eine «Teil-Professionalisierung»: Ein Teil der Unterschriften soll bezahlt gesammelt werden. Ansonsten drohe das Projekt für den Bürgerdienst zu scheitern.