Wovor das BAG schon länger warnte, scheint Realität zu werden: Eine «Epidemie der Ungeimpften» zieht durchs Land. In den Spitälern sind derzeit 9 von 10 Covid-Patienten nicht geimpft. Die Kritik an Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen und im Krankheitsfall das Gesundheitssystem belasten, wächst – auch vonseiten der Politik.
Andrea Büchler, Präsidentin der Nationalen Ethikkommission (NEK) nimmt Stellung zu drei brisanten Aussagen aus der Politik.
Ungeimpfte sollen ihre Spitalkosten selber tragen.
Der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia wartete vor wenigen Tagen mit einem brisanten Vorschlag auf: Ungeimpfte sollen selbst für die Kosten aufkommen, wenn sie wegen einer Covid-Erkrankung ins Spital eingeliefert werden. «Solche Überlegungen lehnt die Nationale Ethikkommission deutlich ab», sagt Präsidentin Büchler. «Dass die Impfung eine persönliche Entscheidung ist, muss respektiert werden.»
Durch eine Überwälzung der Spitalkosten auf ungeimpfte Patientinnen und Patienten werde diese Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Bei den Corona-Massnahmen gebe es graduelle Unterschiede. Etwa, wenn für den Zugang zu gewissen Bereichen ein Covid-Zertifikat verlangt wird, um die Pandemie einzudämmen. Poggias Vorstoss gehe für die Nationale Ethikkommission aber zu weit.
Ungeimpfte sollen sich in den Spitälern hinten anstellen.
Weil Covid-Patienten Intensivstationen belasten, verschieben erste Spitäler erneut Operationen. «Mitte»-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel fordert: Ungeimpfte Covid-Patienten sollen sich hinten anstellen.
Die Präsidentin der Ethikkommission lehnt auch das ab: Aufgrund ihres Impfstatus dürfe man Menschen in den Spitälern nicht anders behandeln.
Denn unser Gesundheitssystem beruhe auf der Idee der Solidarität. «Es wäre höchst problematisch und hätte weitreichende Konsequenzen, wenn wir jetzt von diesem Grundsatz abweichen würden.» Denn, so fragt die Rechtsprofessorin rhetorisch: Sollen künftig auch Risikosportler oder Raucher hinten anstehen, wenn den Spitälern eine Überlastung droht?
Ungeimpfte sollten eigentlich auf einen Platz in der Intensivstation verzichten – das wäre Eigenverantwortung.
Auch die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli macht derzeit Schlagzeilen: «Wer Impfgegner ist, der müsste eigentlich eine Patientenverfügung ausfüllen, worin er bestätigt, dass er im Fall einer Covid-Erkrankung keine Spital- und Intensivbehandlung will», sagte Rickli gegenüber den Tamedia-Zeitungen. «Das wäre echte Eigenverantwortung.»
Hier kommt die Schuldfrage ins Spiel: Wer sich nicht impft, ist selber schuld, wenn er auf der Intensivstation landet. So einfach sei es aber auch hier nicht, sagt NEK-Präsidentin Büchler: «Die Verschuldensfrage suggeriert, dass alles ganz einfach ist.» Hier die Menschen, die sich gegen eine Impfung entscheiden und die Konsequenzen tragen müssen. Dort die anderen, die sich impfen lassen und damit sich selbst und andere schützen.
Doch die Motive, sich (noch) nicht impfen zu lassen, seien sehr komplex, sagt Büchler. Hier spielten individuelle und vielschichtige Faktoren hinein: «Das kann mit Ängsten, sozialen Bedingungen oder Ressourcen zu tun haben. Hier von Verschulden zu sprechen, erscheint mir eine unzulässige Verkürzung.» Die Motive des Einzelnen zu bewerten, sich nicht impfen zu lassen, und quasi den «Grad des Verschuldens» festzustellen, sei weder möglich noch angezeigt, schliesst Büchler.
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