Der Bundesrat hat den Abschluss der Verhandlungen mit der EU bekannt gegeben. Noch sind nicht alle Details bekannt. Aber die neuen Verträge lösen viele Fragen aus. Inlandredaktor Matthias Strasser klärt die meistgestellten.
«Durch die neuen Verträge hat nicht mehr das Volk das letzte Wort, sondern der Europäische Gerichtshof – was ist dran?»
Hier muss man unterscheiden: Der EuGH soll künftig bei Streitfällen mitreden, wenn es um Bereiche geht, wo die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnimmt. Heute ist dafür ein diplomatisches Gremium zuständig. Das Volk kommt zum Zug, wenn die EU ihre Binnenmarkt-Regeln anpasst. Neu soll die Schweiz Anpassungen grundsätzlich übernehmen, dort wo sie teilnimmt. Parlament und Volk könnten aber im Einzelfall Nein sagen – und hätten so das letzte Wort. Die Abkommen regeln auch, welche Konsequenzen ein solches Nein hätte.
«Wieso will die Schweiz am Europäischen Binnenmarkt teilnehmen?»
Weil Binnenmarkt-Teilnahme weiter geht als Freihandel. Es wird etwa die Zulassung im jeweils anderen Land geregelt. Das vereinfacht den Verkauf von regulierten Produkten (z.B. Hüftprothesen) und Dienstleistungen (z.B. Handwerker). Auch die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungen und Abschlüssen wird geregelt. Die Schweiz profitiert laut der deutschen Bertelsmann-Stiftung so stark vom EU-Binnenmarkt wie kein anderes Land.
«Was sind die Auswirkungen des umstrittenen Strommarkt-Abkommens?»
Die Schweiz würde beim Strom neu am Binnenmarkt teilnehmen. Laut Bundesrat würde das die Versorgungssicherheit und die Stabilität des Stromnetzes erhöhen. Für Konsumentinnen und Konsumenten wären Anpassungen freiwillig: Sie könnten wählen, ob sie Strom zum Fixpreis in der Grundversorgung beziehen wollen, oder zum schwankenden Marktpreis bei einem beliebigen Anbieter. Gewerkschaften kritisieren, kleine Schweizer Stromversorger könnten im grossen EU-Markt nicht bestehen.
«In welchen Bereichen hat die Schweiz Ausnahmen im Vergleich zu EU-Staaten?»
«Die Liste ist natürlich relativ lang», erklärte der Schweizer Chefunterhändler Patric Franzen nach dem Verhandlungsabschluss. Und startete die Aufzählung. Am wichtigsten: Die Schweiz hat dank der Bilateralen Verträge teilweise Zugang zum EU-Binnenmarkt, ohne dass sie EU-Mitglied ist. Die Bilateralen sind quasi selbst eine Ausnahme. Auch innerhalb der einzelnen Bereiche gibt es Sonderregeln: So ist etwa die Personenfreizügigkeit auf Arbeitskräfte eingeschränkt, in der EU gilt sie für alle Bürger.
«Wie wird die Schutzklausel bei der Zuwanderung umgesetzt?»
Die Details sind noch unklar. Die Klausel soll eine letzte Notbremse sein, bei zu viel Zuwanderung. Die Schweiz darf selbstständig einen Zuwanderungsnotfall ausrufen, wenn sie der Ansicht ist, die Zuwanderung führe zu schweren wirtschaftlichen Problemen. Das Schiedsgericht würde dann entscheiden, ob ein solcher Notfall vorliegt. Das zu beweisen wird aber sehr anspruchsvoll, weil die Zuwanderung gerade dann hoch ist, wenn es der Schweiz wirtschaftlich gut geht.
«Wie hat sich die Meinung in der Schweiz über die EU verändert?»
Sie ist kritischer geworden. Lange überwogen positive Statements zur EU, seit 2008 sind es negative, zeigt eine Auswertung der Uni Zürich. Der frühere Konsens, wonach eine enge Anbindung wichtig sei, wird nicht mehr getragen. Auch fast alle Parteien sind heute gespalten, vor allem wegen der Zuwanderung.