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Neues Vertragspaket Wie wichtig ist das EU-Abkommen für unsere Exportwirtschaft?

Für den Verkauf vieler Schweizer Waren in der EU ist eine Zertifizierung nötig. Ohne neues Abkommen droht mehr Bürokratie.

Die Europäische Union ist die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Im letzten Jahr exportierte die Schweiz Waren im Wert von rund 138 Milliarden Franken in die EU. Damit sie dort verkauft werden dürfen, müssen viele dieser Produkte auf ihre Sicherheit hin geprüft und zertifiziert werden.

Ein Abkommen regelt die gegenseitige Anerkennung solcher Zertifikate. Dass das so bleibt, ist Teil des neu verhandelten Vertragspakets.

Flaggen der Schweiz und  der EU
Legende: Maschinen oder Seilbahnen, Medizinprodukte oder Spielzeuge: Insgesamt 73 Prozent aller Industrieprodukte aus der Schweiz müssen zertifiziert werden, damit sie in der EU verkauft werden können. Keystone/Alessandro della Valle

Bei der Zertifizierung gehe es in erster Linie um die Sicherheit, erklärt der Präsident des Schweizer Tech-Industrieverbands Swissmem, Martin Hirzel: «Vereinfacht gesagt muss zertifiziert sein, dass bei einer Seilbahn die Gondel nicht abstürzt oder sich der Mitarbeiter nicht die Finger bei einer Maschine einklemmen kann.»

Finanzieller und bürokratischer Aufwand

Heute können die meisten Schweizer Unternehmen ihre Produkte in der Schweiz zertifizieren lassen und dann auch in der EU verkaufen. Das würde sich aber ohne Einigung mit der EU ändern, sagt Hirzel. «Ohne ein Abkommen müsste der Schweizer Hersteller die Zertifizierung durch einen EU-Prüfer ausstellen lassen. Zusätzlich müsste er eine Niederlassung in der EU gründen.»

Die Folge wäre ein grosser finanzieller und bürokratischer Aufwand. Diesen Aufwand hat eine Branche in der Schweiz bereits zu spüren bekommen: die Medizintechnik. Weil die Schweiz nämlich vor drei Jahren vorübergehend die Verhandlungen mit der EU stoppte, stoppte die EU ihrerseits die Anerkennung der Schweizer Zertifikate aus dem Medizintechnik-Bereich.

«Diesen Aufwand wünsche ich keiner anderen Branche»

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Simon Michel
Legende: FDP-Nationalrat und Ypsomed-Chef Simon Michel. Keystone/Anthony Anex

«Der Medizintechnik-Bereich musste schmerzhaft erleben, was es bedeutet, wenn man nicht mehr Teil dieses Abbaus von technischen Handelshemmnissen ist», sagte der FDP-Nationalrat und Chef des Medtechunternehmens Ypsomed, Simon Michel, vor einer Woche in der Samstagsrundschau von Radio SRF.

Die Schweizer Medizinalunternehmen seien gezwungen gewesen, ihre Arbeit stärker in die EU zu verlagern – was dem hiesigen Standort enorm geschadet habe. «Wir mussten für alle Produkte eine Zulassung in Deutschland oder den Niederlanden beantragen. Dieser bürokratische Aufwand ist unnötig und ich wünsche das keiner anderen Branche.»

Aus einer anderen Branche klingt es allerdings weniger besorgt. Finanzinvestor und Kritiker des EU-Vertragspakets, Urs Wietlisbach, sagte kürzlich, ebenfalls in der SRF-Samstagsrundschau: «Die Zertifizierung in der EU ist günstiger als bei uns. Die Medizinaltechnik hat damals einfach Büros in der EU eröffnet.» Für die kleineren Unternehmen habe der Bundesrat ein Büro in Frankfurt eingerichtet.

Zudem sei gerade die Medizinaltechnik-Branche ein gutes Beispiel dafür, dass es auch ohne ein EU-Abkommen und ohne gegenseitige Anerkennung der Produktzertifikate für die Schweizer Wirtschaft gut funktioniere. «Erst hat es geheissen, die Medizinaltechnologie würde zusammenbrechen. Und jetzt gibt es dort 4500 Mitarbeiter mehr als vorher. Wo ist also das Problem?»

Nicht alle Branchen gleich betroffen

Braucht es ein aktualisiertes Abkommen mit der EU, das die gegenseitige Anerkennung der Zertifikate regelt und die technischen Handelshemmnisse abbaut? Die Wirtschaft ist sich bei dieser Frage uneins. Auch, weil nicht jede Branche gleich betroffen ist.

Mitarbeiterin bedient Fräsmaschine
Legende: Bei der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche zum Beispiel sind all die KMU, die Einzelteile exportieren, von der Regulierung befreit. Nur ganze Maschinen müssen zertifiziert werden. Keystone/Gaetan Bally

Swissmem-Präsident Hirzel sagt deshalb, geregelte Verhältnisse bei den Zertifikaten seien zwar gut für die Wirtschaft. Aber nicht um jedem Preis: «Ein Abkommen hilft der Schweizer Industrie. Wir sind aber nicht bereit, dafür den liberalen Arbeitsmarkt aufzugeben.» Also zum Beispiel Mindestlöhne einzuführen oder die Gesamtarbeitsverträge auszuweiten, wie es die Gewerkschaften wollen.

Kommen diese gewerkschaftlichen Forderungen durch, ist der grösste Schweizer Industrieverband Swissmem nicht bereit, zu einem EU-Vertrag Ja zu sagen – Zertifikatsregeln hin oder her. Die EU andererseits ist nicht bereit, das bestehende Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Zertifikate zu aktualisieren, bis die Schweiz Ja zu den neuen Verträgen mit der EU sagt.

Echo der Zeit, 23.12.2024, 18 Uhr

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