Noah ist sehr alt geworden, trotz seines phasenweise «liederlichen» Lebenswandels. Immerhin fanden ihn seine Söhne auch schon mal nackt und sturzbetrunken im Familienzelt vor. Ein Anblick, den wohl jeder Familienvater tunlichst verhindern möchte.
Noah sei dennoch fast tausend Jahre alt geworden – wie dem Buch Genesis zu entnehmen ist. Auch Abraham wurde sehr alt – von Methusalem ganz zu schweigen.
Ein hohes Alter zu erreichen, ist also schon in den frühen Texten der Menschheit ein Traum.
Nun entwickelt sich die moderne Medizin dermassen rasant, dass es plötzlich möglich scheint, dass Ärzte und Ärztinnen bald alle Krankheiten heilen können. Was wäre also, wenn es ab morgen keine tödlichen Krankheiten mehr geben würde?
Szenario: Alles ist therapierbar
«Das wäre hervorragend, das wäre absolut wunderbar», sagt Isabelle Noth, Professorin für Theologie und Seelsorge an der Universität Bern. Auch Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte beim Vergleichsdienst Comparis meint: «Es wäre ein weiterer grosser Fortschritt in der Medizin.»
Am meisten Todesfälle gibt es derzeit wegen Herzerkrankungen. Häufig kommt der Tod überraschend, etwa bei einem Herzinfarkt. Oder die Betroffenen sind sehr alt und das Risiko für eine Operation zu hoch. Was aber, wenn die Früherkennung immer funktionieren würde und in allen Fällen Therapien möglich wären?
Felix Schneuwly ist Fachmann für Gesundheitsthemen und -systemen. Er sagt, so abwegig sei das Szenario nicht, dass einst alles therapierbar würde: «Wenn man die Fortschritte in der Vergangenheit sieht, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es jetzt plötzlich keine Innovationen mehr gibt, wie es sie in den vergangenen 100 oder 200 Jahren gegeben hat.»
Verändern würde sich bei diesem Szenario die Demografie der Gesellschaft. Wir würden deutlich älter und müssten das auch finanzieren können. Da unser Leben stärker von Medikamenten und Therapien abhängig wäre, hätten die Pharmafirmen wohl einen höheren Stellenwert und damit mehr Einfluss.
Fernab der ökonomischen Auswirkungen dürfte auch die Frage beschäftigen: Unter welchen Umständen wollen wir wie lange leben? Wann ein Leben noch lebenswert ist, darauf gebe es keine generelle Antwort, sagt Theologin Isabelle Noth. «Man darf einfach nie unterschätzen, was bei Bettlägrigkeit oder mit Menschen, die nicht mehr aufstehen werden, innerlich alles geschieht. Und ich würde nie und nimmer darüber urteilen wollen, quasi: Wenn jemand nicht mehr leistungsfähig ist, dass das keinen Sinn mehr haben sollte.»
Oberstes Limit: 120 Jahre
Krankheiten haben auch eine Funktion: Sie erinnern uns an die eigene Verletzlichkeit und Endlichkeit. Wäre das nicht mehr der Fall, so würde das Thema Tod wohl weniger präsent.
«Es kann insofern schwierig sein, wenn man das ausblendet, dass man vielleicht so lebt, als wenn man unendlich leben würde und gar nicht realisiert, dass die Zeit, die einem zur Verfügung steht, sehr kostbar ist. Weil sie eben beschränkt ist», sagt Isabelle Noth.
Unendlich leben könnten wir aber auch dann nicht, wenn alle Krankheiten heilbar wären. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass mit etwa 120 Jahren das Limit erreicht ist, weil sich dann menschliche Zellen nicht mehr erneuern können. Aber wenn wir bis 120 so leben könnten, wäre wohl vieles erreicht.