Graue, schwere Wolken, ein beissender Novemberwind und eine Bundesstadt, durchtränkt vom unablässigen Regen der letzten Tage: Die «Wätterschmöcker» nach einer Prognose für den Staatsbesuch des französischen Präsidenten zu fragen, wäre kaum im Interesse der Eidgenossenschaft gewesen.
Doch siehe da, als «Monsieur le Président» um 14.55 Uhr unter militärischen Ehren den Bundesplatz betrat, blinzelte die Sonne freundlich durch die Wolken. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit. Ein gutes Omen für den fünften Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in der Schweiz?
Es ist kompliziert...
In der Tat, befand SRF-Bundeshausredaktor Andy Müller: «Der Beziehungsstatus zwischen der Schweiz und Frankreich war kompliziert, doch seit einiger Zeit herrscht wieder Tauwetter.» Dies werde vom ersten hochoffiziellen Besuch eines französischen Präsidenten seit acht Jahren unterstrichen.
Nichtsdestotrotz: Nach wie vor gilt es, einige dunkle Wolken zwischen Bern und Paris zu vertreiben. Das Verhältnis der Schweiz zur EU (und umgekehrt) scheint derzeit ungeklärter denn je. Und dass sich die Schweiz gegen den Kauf von Rafale-Kampfjets aus französischer Produktion entschieden hat (und für den amerikanischen F-35), wirkt immer noch nach.
Besonderer Moment für Alain Berset
Von all dem war auf dem für Passanten gesperrten Bundesplatz aber nichts zu spüren: In Begleitung der «Première Dame» wurde Macron vom versammelten Bundesrat empfangen. Warme Worte, freundliches Händeschütteln und ein strahlendes Lächeln, das sich von Verteidigungsministerin Viola Amherd bis hin zu Wirtschaftsminister Guy Parmelin zog.
Mittendrin: Bundespräsident Alain Berset, der in wenigen Wochen den Bundesrat verlässt und als Zeremonienmeister des Staatsbesuchs einen seiner letzten grossen Auftritte hatte. Berset und Macron sollen sich ohnehin sehr gut verstehen, entsprechend gelöst war die Atmosphäre bei der Begrüssungszeremonie vor dem Bundeshaus.
Mit der Marseillaise und dem Schweizerpsalm wurde der feierliche Akt fürs Erste beschlossen: Macron und Berset schritten die Ehrengarde ab – und genossen anschliessend ein ausgiebiges Bad in der Menge. Für den abtretenden Bundesrat Berset gleichsam ein Abschied von der Schweizer Bevölkerung.
In der Wandelhalle des Bundeshauses richtete sich Bundespräsident Alain Berset schliesslich an den französischen Präsidenten – und die «Grande Nation» insgesamt.
Berset und Macron beschwören Freundschaftsbande
Die Schweiz und Frankreich mochten miteinander streiten, das aber immer sehr herzlich, zitierte Berset den schweizerisch-französischen Regisseur Jean-Luc Godard. «Die Schweiz ist alleine in Europa, aber nicht isoliert, weil wir Frankreich haben», beschwor der Bundespräsident die gemeinsame Kultur, Sprache und lange Verbundenheit der beiden Länder.
In Zeiten, in denen in Europa und in Nahost Krieg herrscht und der Antisemitismus wieder um sich greift, erinnerte Berset an die Helvetische Republik, den französischen Revolutionsexport: «Wir sind weit weg von 1798, wo sich die Stimme der Vernunft durchgesetzt hat.» Aber es gebe auch heute politische Lösungen und die gegenwärtigen Herausforderungen könnten überwunden werden. Die Schweiz sei offen für Gespräche und stehe für Frieden ein.
Es gibt nicht nur mythische und geschichtliche Gemeinsamkeiten zwischen unseren beiden Ländern, sondern auch in der Gegenwart müssen wir zusammenarbeiten.
Schliesslich schritt Emmanuel Macron ans Rednerpult und erklärte, er sei mit einer «Vertrauensbotschaft» in die Schweiz gekommen. «Ich möchte Antworten auf die Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel geben, die vor fünfzehn Jahren begonnen wurden.»
Es gelte nun, Fortschritte zu erzielen. «Denn es gibt nicht nur mythische und geschichtliche Gemeinsamkeiten zwischen unseren beiden Ländern, sondern auch in der Gegenwart müssen wir zusammenarbeiten.» Das sei man den Unternehmen und der Bevölkerung beider Länder schuldig.
Ob aus diesen Gemeinsamkeiten tatsächlich auch eine politische Aufbruchstimmung erwächst, wird sich in den nächsten 24 Stunden weisen.