Die Vorweihnachtszeit steht im Zeichen der Besinnlichkeit, der Vorfreude auf Weihnachten – bedeutet aber auch Stress wegen der Weihnachtsgeschenke. Doch was wäre, wenn wir einander nichts mehr schenken würden? SRF-Philosophin Barbara Bleisch schätzt ein.
SRF News: Was haben Sie letzte Weihnachten von ihrem Mann geschenkt bekommen?
Barbara Bleisch: Sorry, aber das bleibt privat.
Wissen Sie noch, ob Sie sich gefreut haben?
Ich freue mich grundsätzlich über jedes Geschenk, bei dem ich merke, dass sich jemand Gedanken gemacht hat, und zwar Gedanken über mich und das, was wir teilen, und nicht darüber, wie ich zu einem besseren Menschen werden könnte. Meine Kochkünste zum Beispiel sind eher bescheiden. Wenn mir jemand von meiner Familie zu Weihnachten ungefragt einen Kochkurs schenken würde, empfände ich dies eher als Erziehungsmassnahme.
Wie schenkt man richtig?
Viele Leute denken, dass es am praktischsten wäre, wenn alle Wunschlisten machen würden, mit exakten Angaben, so wie es bei Kindern üblich ist. Dann wäre jedes Geschenk ein Volltreffer.
Die schenkende Person zeigt sich selber und legt auch offen, wie sehr ihr an der Beziehung zum Gegenüber liegt.
Aber dadurch ginge auch viel verloren. Denn indem sich jemand persönlich überlegt, was Anklang finden könnte, wird zwar ein hohes Risiko eingegangen. Das Geschenk kann auch missfallen. Dafür zeigt sich die schenkende Person selber und legt auch offen, wie sehr ihr an der Beziehung zum Gegenüber liegt: wie viel Zeit und Geld aufgewendet wurde, wie intim das Geschenk ist, etc. Man steht sozusagen nackt vor dem Beschenkten. Ein interessanter Moment....
... es geht so. Nackt unter dem Christbaum …
... das meine ich natürlich im übertragenen Sinn. Wie gut Sie Ihre Frau kennen, zeigt sich im Moment, indem sie das Geschenkpapier aufreisst.
Was wäre, wenn wir einander nichts mehr schenken würden?
Dann würden wir auf ein soziales Spiel verzichten, bei dem wir so viel über uns selber und über die anderen lernen können, gerade weil wir uns riskieren.
Die Tendenz geht aber in die umgekehrte Richtung.
Ja. Leider. Der Philosoph Theodor Adorno hat schon vor 70 Jahren geschrieben, das Schenken stecke in einer Krise, weil sich die Leute nicht mehr exponieren wollen und mit immer weniger Aufwand irgendetwas Beliebiges kaufen. Diese Entwicklung gipfelte für ihn in der Erfindung des «Geschenkartikels».
Und was ist mit dem ganzen Abfallberg, den die Geschenke anhäufen? Ist Ihnen egal?
Nein, natürlich nicht. Aber wer diesbezüglich Hemmungen hat, kann ja auf einen Flohmarkt gehen oder ins Brockenhaus. Oder etwas basteln. Wobei die Versagensängste selbst bei Gebasteltem noch grösser sind.
Das Jesus-Kind und die eigentliche Bedeutung von Weihnachten gehen in diesem Konsumrausch völlig vergessen. Als Katholiken stimmt mich das bedenklich.
Das ist mir zu pessimistisch. Vielen Menschen geht es an Weihnachten nicht nur um Geschenke und Konsumrausch. Sogar die Kirchen sind dann oft rappelvoll. Immerhin nennen wir Weihnachten auch das «Fest der Liebe». Ich mache die Beobachtung, dass viele Menschen gerade an Weihnachten darüber nachdenken, was sie einander jenseits des Konsumrausches Liebes tun können und wer allenfalls alleine bleibt und vielleicht auch noch eingeladen werden könnte.
Das Gespräch führte Reto Kohler.