Ein ehemaliger PNOS-Chef bekam kürzlich vom Strafgericht Baselland eine Freiheitsstrafe von 12 Monaten. Er wurde wegen Rassendiskriminierung verurteilt.
In der Urteilsbegründung sagte die Richterin, dass der erstinstanzlich Verurteilte eigentlich 14 Monate Gefängnis bekommen hätte. Zwei Monate habe sie ihm aber abziehen müssen. Dies, weil das Gericht überlastet war und er zu lange auf das Urteil habe warten müssen. Oder juristisch ausgedrückt: Das Gericht hatte das Beschleunigungsgebot verletzt.
Gefängnis-Rabatt ist keine Ausnahme
Der Rechtsradikale hatte also einen «Gefängnis-Rabatt» bekommen, weil das Gericht unter Personalnot leidet. Zudem waren bei Prozessbeginn einige Vergehen bereits verjährt.
Das führte jedes Mal zu einer Strafreduktion.
Dass Straftäterinnen und Straftäter mildere Strafen bekommen, weil das Gericht überlastet ist, kommt immer wieder vor. Das sagt Andreas Schröder, der das Baselbieter Straf-, Massnahmen- und Jugendgericht präsidiert.
«In den vergangenen fünf Jahren hatten wir sechs Fälle, bei denen wir ausdrücklich davon ausgehen mussten, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde», so Schröder. «Das führte jedes Mal zu einer Strafreduktion.»
Von 800 zu 1400 Aktenordner
Dass unter anderem der ehemalige PNOS-Chef eine mildere Strafe bekam, geschah also wegen Personalmangel.
Die Fälle seien aber auch komplexer geworden, sagt Schröder: «Als ich anfing, hatte ich ab und zu an einem halben Tag zwei oder drei Fälle zu behandeln. Mittlerweile ist das praktisch unmöglich.»
2021 haben die Baselbieter Richterinnen und Richter 800 Bundesordner an Akten lesen müssen, um sich auf einen Gerichtsfall vorzubereiten, sagt Schröder. Ein Jahr später seien es bereits 1000 gewesen und im vergangenen Jahr 1400.
Fälle von Leuten in Untersuchungshaft, häusliche Gewalt und Sexualdelikte priorisieren wir.
Um den Berg an Arbeit abzutragen, möglichst ohne mildere Strafen aussprechen zu müssen, geht das Gericht taktisch vor. «Fälle von Leuten in Untersuchungshaft, häusliche Gewalt und Sexualdelikte priorisieren wir», erzählt Schröder. Auch Fälle, die kurz vor der Verjährung stünden, versuche man möglichst zeitnah zu behandeln.
29 zusätzliche Stellen im Aargau
Dass Verurteilte von einer milderen Strafe profitieren, weil das Gericht zu langsam arbeitet, kommt auch in andern Kantonen vor. Auch im aargauischen Lenzburg mussten Angeklagte sehr lange warten, sagt das Gericht auf Nachfrage von SRF.
Nun soll es besser werden: Die elf Aargauer Bezirksgerichte bekommen mehr Leute. Insgesamt wurden 29 zusätzliche Stellen bewilligt.
Teilzeit und Homeoffice in Zürich
In Zürich schlagen Richterinnen und Richter schon seit Jahren Alarm. Die Qualität der Rechtssprechung könnte unter dem Personalmangel leiden, befürchten sie.
Neu klagen Zürcher Gerichte über ein weiteres Problem: In einem Bericht des Obergerichts heisst es, man habe Nachwuchsprobleme. Leute zu finden, die nach dem Jusstudium ein Praktikum am Gericht machten, sei stets schwieriger.
Um dennoch Interessierte zu finden, will das Gericht Jus-Studierende, die kurz vor dem Abschluss stehen, direkt ansprechen. Zudem will es Teilzeitstellen anbieten und Homeoffice möglich machen.
Auch Baselland hat auf das Problem reagiert. Das kantonale Parlament hat eine zusätzliche Stelle bewilligt. Während anderthalb Jahren bekommt das Gericht eine zusätzliche 80-Prozent-Stelle.